Seite:Harz-Berg-Kalender 1929 065.png

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Man hätte sehen sollen, mit welchem Beben er es in die Hände nahm, mit welchem Respekt er es weit vom Leibe hielt, und wie leise er es fernhin in eine Ecke stellte. Man begann, Appeτit zu bekommen, man nahm die Vorräte zur Hand, man ließ welche holen, man teilte freigebig mit. Der Weber, den seine Frau eben nicht überflüssig versehen hatte, und bei Essen und Trinken, besonders wenn es nichts kostete, dem Tapfersten nicht nachstand, griff rüstig zu, genierte sich im mindesten nicht. Man war recht munter, und als man am besten d’ran war, machte die Schildwache die Tür auf und rief ängstlich, sie sollen kommen und horchen. Wohl die kamen unbesinnt, hörten „Pung, Pung“, aber nicht gegen Westen, Neuenegg zu, sondern ganz umgekehrt, gegen Norden.

     Von Fraubrunnen her oder noch viel näher schoß es. Klein und grob donnerte es von dort her, und in der Stadt hörte man ein großes Getümmel, als ob die Leute die Köpfe verloren hätten, und jeder seinen wieder suche, rannten sie durcheinander. Von unten herauf kämen die Franzosen, alles sei verloren, alles tot und ganz kaput, schrie es durcheinander. Es war ein Jammer, ganz entsetzlich. Die Einen schrien, man solle sich wehren bis auf den lezten Blutstropfen, es werde doch das Kind im Mutterleibe nicht geschont. und schöner sei es, einen ehrlichen Soldatentod zu sterben, als sich metzgen zu lassen wie ein Kalb. Andere schrien, man solle ums Himmels willen kapitulieren, die Stadt übergeben, sonst würde sie an allen vier Ecken angezündet und alles verbrannt mit Mann und Maus. Ein altes Stelzbein wollte, daß Sturm geschlagen, mit sämtlicher bewaffneten Macht ein Ausfall gemacht werde. Die Flüchtlinge schlossen sich an, es ginge wie oben aus, im Nu wären die Franzosen wieder in Fraubrunnen.

     Aber das war die Stimme eines Predigers in der Wüste. Die Ohren, welche seine Stimme gehört hätten, die waren nicht mehr da, die waren bei Neuenegg. Ja auf der Zeughauswache meinte ein Hausmannli, entweder sei das ein Narr, oder ein Verräter, jedenfalls würde es nichts schaden, wenn man ihn einstweilen hintern täte. Da die Wache eigentlich nicht zu aktivem Dienste beordert war, so fand auch diese Stimme nicht Gehör. Man könne nicht wissen, was komme, mutwillig was anfangen, wäre dumm, es sei früh genug, auszurücken, wenn Befehl käme, daß es sein müsse. Wenn der Brülli Anhang finde, so könne es Krieg geben in der Stadt selbst; darum sei es besser, man lasse das einstweilen machen und blase nicht drein. Die Herren würden doch wohl so witzig sein, die Stadt zu übergeben zu rechter Zeit, hieß es. Gottlob seien die Hitzköpfe fort und die Weisen daheim geblieben. Da ging’s dem Zeughause gegenüber Pung, Pung. Dort senseits der Aare, auf dem Breitfeld, stund eine bernische Batterie, die zu feuern begann, sobald bie Franzosen am jenseitigen Ende des Felbes sich bemerkbar machten. Diese antworteten, plötzlich war ber Krieg vor der Stadt, das Zeughaus ungedeckt bem feindlichen Feuer ausgesetzt. Mein Gott, was da für eine Angst über die Mannen im Zeughause kam und die Gesichter bleich wurden! Ein kleiner Student mit einer Patrontasche, die ihm bis an die Waden, welche etwas quer an den Beinen plaziert waren, hing, schrie, es sei den Franzosen verraten worden, daß hier das Zeughaus sei; gewiß wollten sie es in die Luft schießen, man mache es so im Kriege, dann seien sie alle verloren. Und manchmal, sagte einer, der einen Spaß selten unterdrücken konnte, sprenge man sich selbst in die Luft, so müßte man am geschwindesten, woran man sei, erschrecke dazu noch den Feind und komme ung’sinnet zu großem Ruhme, woran man sonst nie hätte denken dürfen. Wohl, der hatte Zeit zu schweigen, wenn der Heldenmut der erschrockenen Helden sich nicht über seinem Haupte entladen sollte. Denn sie nahmen den Spaß für Ernst und entsetzten sich billig über solch vermessene Rede. Aber jetzt was machen, sich in die Luft schießen lassen? Davonlaufen wäre das Kürzeste gewesen. Aber daran dachten sie nicht, es fiel ihnen gar nicht ein. Es lag ihnen noch so ein altbernischer Gehorsam in den Gliedern, das sie nichts anderes wußten, als einstweilen da zu stehen, wo sie stunden, und wenn ihnen einer dazu geraten hätte, davonzulaufen, so würden sie geantwortet haben: Was würden unsere gnädigen Herren sagen, wenn wir da fortliefen? Wohl, die würden uns! Man muß bei dieser Sprache aber nicht vergessen, daß es schittere Hausmannlein und die zähmern Studenten waren, welche das Zeughaus hüteten und denen ein heiliger Respekt tief in den Gliedern saß. Man sprach davon, einen über die Aare, welche etwas weiter unten gegen das Rathaus zu sehr leicht war, zu der Batterie zu schicken und den Kanonieren sagen zu lassen, sie sollten mit dem lümmelhaften Schießen aufhören, ob sie nicht daran dächten, daß hinter ihnen das Zeughaus sei, welches in die Luft fliegen könnte, wenn es eine Kugel treffen täte. Man schlug dazu den Weber vor, dem die Aare am besten bekannt sei und dem es am meisten daran gelegen sein solle, indem er da drüben Wohne, und wenn man mit dem gefährlichen Schießen die Franzosen hierher locke, so könne er zuschen, wie es seiner Frau und Kindern erginge, lebendig sehe er sie nimmer wieder. Alles Lebendige verhacketen die Franzosen, als wär’s Kraut und Rüben. Aber unser Weberlein wollte nichts davon hören, er tat wüst, wir müssen es sagen. Und er gehe nicht, erklärte er; in solchen Zeiten müsse jeder zu sich selbsten sehen, um seine Frau mache es ihm nicht angst, das sei eine, die sich zu helfen wisse, er möchte einem jeden von ihnen eine