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Ein aussterbender Waldbaum im Oberharz.
Von H. Morich-Clausthal.


     Wer von Bad Grund aus den sagenumwobenen Hübichenstein am Abhange des Ibergs besucht, findet am Wege nach dem Winterberge einen merkwürdigen Baum, der zum Schutze gegen Beschädigungen mit einer Umzäunung versehen ist. Bei flüchtiger Betrachtung könnte man ihn für eine Tanne halten, trägt er doch als Belaubung die charakteristischen Nadeln, welche flach und dunkelgrün erscheinen und an den Zweigen kammförmig angeordnet sind. Daturch sieht er der Weiß- oder Edeltanne, deren Nadelblätter ebenfalls zweizeilig gestellt sind, sehr ähnlich. Aber bei näherer Untersuchung fällt uns seine eigentümliche Form auf, die von der Harzer Tanne ganz erheblich abweicht.

     Der Baum ist klein, kaum sechs Meter hoch, und erscheint wie ein Zwerg zwischen den hochgewachsenen Tannen und den kräftig entwickelten Buchen. Und jetzt stehen wir auch, wie sich Stamm und Äste von denen unserer Tannen unterscheiden, und wie sich die Nadeln ihre Eigentümlichkeiten bewahrt haben. Der Stamm ist verknorpelt und verbuckelt, und die blaugraue Rinde löst sich hier und da in großen Platten ab. Die Zweige stehen zerstreut und streben in seitlicher Richtung nach auswärts. Die immergrünen Nadeln sind linealförmig, lederartig und kurz stachelspitzig. Ein echter Nadelbaum und doch ein Fremdling inmitten unserer heiischen Fichten- und Laubwälder!

Eibenbaum am Iberg
Eibenbaum am Iberg

     Diese Naturseltenheit ist der Eibenbaum (Taxus baccata), der sich nur noch in wenigen Resten in der Umgebung Grunds findet. Auf der Höhe des Winterberges bei der Schutzhütte, dem „Pavillon“, steht ein zweites Exemplar in Baumform, das ebenfalls mit einer Umfriedung versehen ist. Man hat sie so geschützt, weil man diese Naturdenkmäler gern erhalten möchte. Am Iberge sind besonders die beiden Eiben auf der Pfannenbergs-Klippe, etwa 20 Meter unterhalb der Tropfsteinhöhle, bekannt, die aber mehr in Strauchform erscheinen. Hier zeigt sich zur Herbstzeit der Unterschied der Eibe von den stammverwandten Nadelhölzern auf das augenscheinlichste durch die prächtigen Scheinrüchte, scharlachrote Beeren, die wie Korallenperlen aus dem satten Grün der Nadeln hervorleuchten.

     Die übrigen Eibenbüsche stehen, abgesehen von einem kräftigen Exemplar am Königsberge, an versteckten Stellen am südöstlichen Abhange des Iberges. Der Name deutet darauf hin, daß dieser Berg, der heute durchweg mit Buchen bestanden ist, in früheren Zeiten eine große Anzahl von Eiben gehabt haben muß. Die Eibe heißt im Plattdeutschen Ive oder Ibe, wovon die Bezeichnung Ibenberg und Iberg, d. h. Eibenberg, leicht abzuleiten ist.

     Im Harz kommt die Eibe außer diesen Exemplaren bei Grund nur noch im Bodetale als starker Baum vor. Hier befinden sich etwa 6.000 Stämme, die an den steilen Abhängen des rechten Ufers, sowie in den engen Schluchten, in denen zwischen dem Hexentanzplatze und dem Dammbachhause die Gewässer der Bode zueilen. Der ganze Waldbestand ist durch Verfügung der Forstverwaltung von jeder Nutzung ausgeschlossen; er ist sich völlig selbst überlassen, ein urwüchsiger Wald, der als Naturdenkmal erhalten werden soll.

     Es ist nachgewiesen, daß dies Baumgeschlecht einst eine große Herrschaft über die Erde besaß und auf Jahrtausende in der Geschichte zurückblicken kann. Von den britischen Inseln, dem mittleren Norwegen, Schweden und Rußland zogen sich die Eibenbestände südwärts bis an die Gestade des Mittelländischen Meeres, ja noch weiter, bis nach Vorderasien und den Himalaya.

     Heute ist dieses berühmte Baumgeschlecht im Aussterben begriffen, man findet seine Reste in Deutschland nur noch zerstreut, und auch die