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Die Amsel.
Von Reinecke-Altenau.


     Der Hüttenmann Nickel hatte sein reichliches halbes Hundert Arbeitsjahre auf dem Buckel und ging in Pension.

     Aber der ewige Feierabend behagte ihm nicht. Fünfzig Jahre Werkeln bringen ein Rad in Schwung, das nicht von heute auf morgen stillzustehen vermag. Fritz Nickel suchte sein Zimmermannsgezäh im Schapp wieder zusammen und guckte sich nach Arbeit um. Von Haus aus war er nämlich Zimmermann gewesen. In der Muße seiner Gnadenlöhnerzeit kam ihm nunmehr sein altes Handwerk wieder zustatten.

     Da hätte zum Beispiel die Wittfrau Behm gerne das Gebälk im Ktuhstall verlegt, weil sie noch ein Kalb wöhnen will. Oder beim Schuster Knieriem mußten im Stall neue Bohlen gelegt werden. Oder einer hatte den Schwamm im Hause. Oder da stand ein Hausboden leer, und es wären eigentlich da oben doch wunderschöne Dachfammern zu schaffen, wo man im Sommer schlafen könnte, damit die guten Stuben unten freiblieben für die Kurgäste und ein bißchen was einbrächten. Oder einer, der sich einen neuen Holzstall, einen Verschlag für die Ziegen, einen Hühnerwiemen zusammenschustern wollte, kan mit der Zimmerei nicht zurecht: in solchen kleinen bautechnischen Angelegenheiten also war Fritz Nickel zuständig. Er war der einzige gelernte Zimmermann in der Bergstadt Grünewies. AuBerdem wußte man von ihm, daß er einem hinterher nicht das Fell über die Ohren zog mit gesalzenen Rechnungen. Nein, Zimmermann Nickel machte das alles für Groschen. Diese Groschen langten, daß er sich davon ein paar Fettaugen auf die magere Suppe seiner Rente träufeln konnte, und seine Amsel bekam auch ihren Extrahappen davon ab. Seine Ansel hatte es gut bei ihm.

     Aber schließlich wurden die Hände zu dürr für die Zimmermannsaxt. Lot und Winkel, maß zitterten, weil der Tatterich in den Fingern stak. Die Augen wollten auch nicht mehr recht. So blieb von dem Zimmermann und Winkelarchitekten Fritz Nickel zu guter Letzt nicht viel mehr übrig als ein faltiges Mänilein in Zuppeljacke und Manchesterhose, aus der wie eine aus einem Schiffbruch gerettete letzte Kostbarkeit der gelbe Zollstock hervorr lugte.

     Als die Arbeit fehlte, kam die Einsanıfeit des Alters in Fritz Nickels Tage. Der Tod seiner Frau hatte diese Einsamkeit obendrein mit Schmerz und Schwärze gefüllt. Die Kinder waren in die Fremde gezogen. So wäre sein Feierabend voll trostloser Leere gewesen, wenn ihm nicht eine kleine Kameradschaft geblieben wäre in seiner Amsel. In der Sorge im sie fanden seine Gnadenlöhnertage einen freundlichen Inhalt. Er umhegte sie mit großväterlicher Zärtlichkeit. Sie bot ihm Beschäftigung, Unterhaltung, war Ziel einer Liebe, die sonst nirgends hätte angebracht werden können und ihr Gesang umspann seine Morgen und Abende mit Frieden.

     Oh, seine Amsel!

     In den Wäldern um die Bergstadt Grünewies flog zwar allerhand Vogelvolk herum. Aber Schwarzdrosseln gehörten zu den Seltenheiten da oben. Das Buschwert fehlte, und die Winter meinten es zu grimmig. Zuweilen wohl verflog sich auch einmal eine Amsel nach dort hinauf. Das war dann ein Ereignis, das sich bei den Leuten herumsprach: Du, im roten Berg heckt dies Jahr eine Schwarzdrußel!


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender 1940. Piepersche Buchdruckerei, Clausthal 1939, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Harz-Berg-Kalender_1940_058.png&oldid=- (Version vom 3.8.2019)