Seite:Heiligenstädter Testament.pdf/2

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daß ich da die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bey mir in einem Vollkommenern Grade als bey andern seyn sollte, einen Sinn denn ich einst in der grösten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben noch gehabt haben – o ich kann es nicht, drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt Wehe thut mir mein unglück, indem ich dabey verkannt werden muß, für mich darf Erholung in Menschlicher Gesellschaft, feinere unterredungen, Wechselseitige Ergießungen nicht statt haben, ganz allein fast nur so viel als es die höchste Nothwendigkeit fodert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben, nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit, indem ich befürchte in Gefahr gesezt zu werden, meine[n] Zustand merken zu laßen – so war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte, von meinem Vernünftigen Arzte[1] aufgefodert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kamm er mir fast meiner jezigen natürlichen Disposizion entgegen, obschon, Vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte,[2]

Zweite Seite des Autographs

{Zweite Seite des Autographs}

solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper,[3] daß eine etwas schnelle Verändrung mich aus dem Besten Zustande in den schlechtesten versezen kann – Geduld – so heist es, Sie muß ich nun zur führerin wählen, ich habe es – daurend hoffe ich, soll mein Entschluß seyn, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen, vieleicht geht’s besser, vieleicht nicht, ich bin gefaßt – schon in meinem 28 Jahre[4] gezwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwere[r] als für irgend jemand – Gottheit du siehst herab auf mein inneres, du kennst es, du weist, dasß menschenliebe und neigung zum Wohlthun drin Hausen, o Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir unrecht gethan, und der unglückliche, er tröste sich, einen seines gleichen zu finden, der troz allen Hindernissen der Natur, doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden – ihr meine Brüder Carl und {Leerraum}, sobald ich Tod bin und Professor schmid lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bey, zu damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde – zugleich erkläre ich euch beyde hier für meine die Erben des kleinen Vermögens, (wenn man es so nennen kann) von mir, theilt es redlich, und vertragt und helft euch einander, was ihr mir zuwider gethan, das wist ihr, war euch schon längst

  1. Johann Adam Schmidt (1759–1809) – Professor der Anatomie und Chirurgie, Lehrer für allgemeine Medizin an der Josephsakademie – behandelte Beethoven seit 1801.
  2. Siehe: Franz Gerhard Wegeler und Ferdinand Ries, Biographische Notizen über Ludwig van Beethoven 1838, S. 98. Die Darstellung von Ludwig Rellstab – Aus meinem Leben, Teil 2, Berlin 1861, S. 257 –, angeblich auf einer Mitteilung von Ries beruhend, ist Fiktion, bei der zwei weit auseinderliegende Begebenheiten vermischt werden.
  3. Beethoven suchte von Mai bis Oktober 1802 die mineralhaltige Quelle der Badeanstalt in Heiligenstadt auf, um die gastritischen Beschwerden an denen er, verbunden mit heftigen Koliken, häufig litt zu kurieren. Beethoven befürchtete offensichtlich sein nahendes Ende, wie der Fortgang des Briefes zeigt.
  4. Auffällig ist die falsche Altersangabe. Beethoven war bereits 32 Jahre alt. Gewöhnlich hielt er sich für zwei Jahre jünger, da er glaubte 1772 geboren zu sein, weil der Vater den Dreizehnjährigen als „elf jähriges Wunderkind“ hatte auftreten lassen.
Empfohlene Zitierweise:
Ludwig van Beethoven: Heiligenstädter Testament. off, off 1802, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heiligenst%C3%A4dter_Testament.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)