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Ich kam und nahete mich ihr,
Und flüsterte: O sage mir,

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Du wundersüßes Mägdelein,

Wem zimmerst du den Eichenschrein?

Da sprach sie schnell: Die Zeit ist karg,
Ich zimmre deinen Todtensarg!
Und wie sie dies gesprochen kaum,

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Zerfloß das ganze Bild wie Schaum. –


Es lag so bleich, es lag so weit
Ringsum nur kahle, kahle Heid;
Ich wußte nicht wie mir geschah,
Und heimlich schauernd stand ich da.

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Und nun ich eben fürder schweif’,

Gewahr’ ich einen weißen Streif;
Ich eilt’ drauf zu, und eilt’ und stand,
Und sieh! die schöne Maid ich fand.

Auf weiter Heid stand weiße Maid,

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Grub tief die Erd’ mit Grabescheit.

Kaum wagt ich noch sie anzuschau’n,
Sie war so schön und doch ein Grau’n.

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Heinrich Heine: Gedichte. Maurersche Buchhandlung, Berlin 1822, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Heine_Gedichte_1822_006.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)