Seite:Hermann Drahten Der Rechtsschutz des bildenden Künstlers 1908.pdf/30

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§ 16. Die freie Benutzung eines Werkes ist zulässig, wenn dadurch eine eigentümliche Schöpfung hervorgebracht wird.

Was ist freie Benutzung?

Die Erlaubtheit „freier Benutzung eines Werkes“ findet sich in den Kunstschutzgesetzen aller Staaten und ist auch notwendig, da sonst die Weiterentwickelung der Kunst völlig gehemmt wäre; ja die Vorschrift liegt auch im Interesse der Meister selbst, die ohne die freie Benutzung ihrer Ideen keinen nachhaltigen Einfluß auf ihre Zeit ausüben könnten. Das Kunstwerk soll nicht unkünstlerisch ausgeschlachtet werden, aber als Anregung zu neuem Schaffen dienen. Die Kehrseite der Sache liegt freilich in dem gefährlichen Anreiz gewissenloser Däumlinge, sich mit fremden Federn zu schmücken und anderer Ideen als die ihrigen auszugeben. Das Gesetz muß die Begriffsbestimmung der „freien Benutzung“ der Theorie und Rechtsprechung überlassen. Das Reichsgericht hat in verschiedenen Urteilen dazu Stellung genommen. So im Urteil Band 18 in Strafsachen Seite 321 ff.:

Die Worte „freie Benutzung“ und „neues Werk“ haben die Bedeutung „künstlerisch selbständige Benutzung“ und „künstlerisch selbständiges Werk“.

Ferner ist in Band 14 in Strafsachen, Seite 54, entschieden, daß eine Neuschöpfung vorliegt, wenn die Nachbildung es überhaupt nicht mehr auf Reproduktion eines Porträts abgesehen, sondern dasselbe für die bildliche Darstellung eines historischen, genrehaften oder ähnlichen Herganges nur als vereinzelten Bestandteil des letzteren verwertet hat. Nicht minder wird man selbst einem lediglich aus mechanisch nachgebildeten Porträts zusammengesetzten Gruppenbilde dann den Charakter der Neuheit und Eigentümlichkeit zugestehen, wenn die Gruppe als solche nicht in dem rein mosaikähnlichen Nebeneinander verschiedener Einzelporträts, sondern in der geistigen Verbindung der letzteren durch Einfügung einer gemeinsamen Handlung, eines die Figuren verknüpfenden Vorganges besteht.

Es ist ferner in Band 33 in Strafsachen Seite 38 entschieden, daß eine freie Benutzung nicht schon darin liegt, daß in einzelnen Beziehungen selbständige Zutaten oder Verschiebungen vorgenommen werden; es wird vielmehr verlangt, daß im ganzen ein neues selbständiges Werk geschaffen werde.

Ferner in Zivilsachen Band 36 Seite 49, wo der Fall behandelt ist, daß derselbe Künstler zweimal dasselbe Bild (die heilige Familie darstellend), malt, das zweitemal mit wesentlichen Veränderungen. Hier verneinte das Reichsgericht das Vorliegen einer freien Benutzung.

Freie Benutzung ist also die Verwendung einzelner Motive zur selbständigen künstlerischen Schaffung eines neuen Erzeugnisses.