Seite:Hermann Drahten Der Rechtsschutz des bildenden Künstlers 1908.pdf/75

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ihr die grobsinnliche Erscheinung des Vorganges ohne die reinigende künstlerische Form in den Vordergrund, so wird auch nur noch der Gegenstand selbst und nicht mehr die Form der Darstellung für das Urteil maßgebend sein. Andererseits wird die Art der Schaustellung, falls hier nicht § 183 Strafgesetzbuchs (Erregung öffentlichen Ärgernisses) Platz greift, einem ursprünglich nicht als „unzüchtig“ zu prädizierenden Kunstwerke einen obszönen Charakter aufprägen können. Die sittlichen Anschauungen unterscheiden bei zahlreichen Dingen und Vorgängen, ob dieselben in der Abgeschlossenheit des Hauses bezw. in geschlossenen Hallen und solchenfalls als erlaubt und unverfänglich, oder ob sie auf offener Straße und solchenfalls als unsittlich und schamlos in die Erscheinung treten. Unter anderen Umständen vermag wiederum eine geflissentliche Art der Zusammenstellung und Gruppierung an sich und im einzelnen harmloser Darstellungen dem Ganzen ein unzüchtiges Gepräge zu verleihen.

Ueberall aber, und auch, wo in Fällen der letztbezeichneten Art die „Verwendung“ kritisch wird, sind es stets objektive, mit den Darstellungen unmittelbar und äußerlich zusammenhängende Umstände, sei es des Gegenstandes selbst, sei es der Form, sei es der Umgebung, des Ortes und dergleichen, welche die Unzüchtigkeit bestimmen, nicht aber, wie dies das Urteil tut, bloße Zwecke in Sachen rein subjektiver, zufällig und willkürlich mit dem Gegenstände verknüpfter Absichten und Vorstellungen einzelner.

Aehnliche Ausführungen find enthalten in den Urteilen des Reichsgerichts in Strafsachen Band 21, Seite 306 und Band 30, Seite 378. Sie werden den Künstler überzeugen, daß das Reichsgericht mit den Bestrebungen gewisser Eiferer nichts zu tun hat und der wahren Kunst volle Freiheit gestattet. Andererseits ist in dem Urteil des Reichsgerichts, Band 33 in Strafsachen, Seite 17 ausgeführt, „daß für den Begriff der ‚unzüchtigen Abbildungen‘ nicht entscheidend sei, ob sie auch bei einem erwachsenen Normalmenschen das Schamgefühl verletzt; sei die Abbildung auch jugendlichen Personen zugänglich, so müsse auch auf deren Empfinden Rücksicht genommen werden.“

Diese Entscheidung macht die Unzüchtigkeit zu einem relativen Begriff und kann schon aus diesem Grunde nicht richtig sein. Tatsächlich ist die Grenze zwischen rein ästhetischen und schamverletzenden Darstellungen von Nuditäten nur von Fall zu Fall und schwierig zu ziehen. Das hat wiederum das mit Freisprechung geendete Strafverfahren gegen den Herausgeber der Zeitschrift „Schönheit“ bewiesen. In der Strafkammersitzung vom 20. September 1907 zu Berlin gingen die Gutachten der zahlreichen, aus hervorragenden Künstlern und Medizinern bestehenden Sachverständigen über diese Grenze auseinander; aber darüber waren alle einig, daß die Darstellung des nackten menschlichen Körpers auch durch