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was sie bewußterweise ihr entzieht. Diese heilige Liebe scheidet das ungöttliche Wesen aus ihrem Bereich aus; Heilung kann nur dem Verlangen nach Heiligung werden, der Arzt bietet seine Mittel nicht den Gesunden, sondern den Kranken.

 Wie gering denkt die Flachheit von der Tiefe und der Ernstlichkeit heiliger Wahrheit, die aller in sich verliebten und versunkenen Unwahrheit um ihrer eignen Existenz willen absagen muß. Man stellt sich Jesu Fürbitte als Verleugnung seiner Ehre vor, eine Schwachheit, die eine Seligkeit aufnötigt, obgleich niemand sie als solche empfindet.

 Man verschließt sich jeder Würdigung Christi und an dem Tage, wo man seiner, wie man sich innerlich zugesteht, bedarf, will man es nicht vor ihm gestehen, ja kann es nicht mehr. Für solche Verstockung antwortet nur noch die Klage über das „zu spät“.

 Jedem aber gehe die ernste Frage zu Herzen, ob er nicht soweit schon zur Welt gehöre, daß er an die Mühe und den Ernst der Fürbitte Jesu nimmer denkt. Und dann frage er weiter, ob er noch unter dem Trost der Geduld stehe, die „noch dies Jahr“ ihm erbittet oder ob das „Haue ihn darnach ab“ den unfruchtbaren Baum seines Lebens trifft.

 Dem heiligen Ernst der Absage: „Ich bitte nicht für die Welt“ steht die Liebe zur Seite, die zu sein aufhören müßte, wenn kritiklose Schwachheit ihr das Wort nähme. Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn, daß wir die uneingeschränkte Liebe erfahren.


Ich bitte für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein.

 In einem nur durch den Zusammenhalt mit dem „sie waren dein“ – V. 6 – klar werdenden Sinne spricht der Herr von denen, für die er zu bitten verheißt: Sie sind dein. Es liegt in dem Wörtlein „sind“ der Ertrag seiner Arbeit und der Gewinn ihres Lebens. Schöpfungsgemäß waren sie Gottes, ahnend und hoffend gaben sie sich ihm zum Eigentum. Aber es war eben doch ein gewaltiger Umschwung in ihrem Sein, darum in ihrem Sinn entstanden. Sie waren mit Gott versöhnt worden, der knechtische Geist war ihnen entwunden und von ihnen gebannt worden, der kindliche Geist war ihnen geschenkt. Nun war ihr Leben echt und rein, himmlisch und geistlich. Die heilige Liebe hatte Kinder auferzogen, die jetzt ihres Vaters Art kennen und ins Herz schließen und nach ihr leben. Aus der Bestimmtheit war Selbstbestimmung, aus der Abhängigkeit die Freiheit des Selbstentschlusses geworden.

 Sie waren dein, weil sie nicht anders konnten, nun sind sie dein, weil sie nicht anders wollten. Das ist die reine selbstlose Freude Jesu, der niemand auf sich verschränken, bei sich behalten und an sich fesseln will, sondern alle dem Vater zuführt, ein Herr, welcher viele Kinder zur Herrlichkeit führt und erhebt. Sie sind der Lohn für treue Sämannsarbeit,