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Pforten von Gethsemane so sprechen. Weit über Berg und Tale, weit über blaches Feld, hoch über Kreuz und Grab geht der sehnliche Geist und eilt das verlangende Herz. Aber ein bittres Weh fällt in die Seligkeit, ein düstrer Schatten zieht über die sonnenbeglänzten Halden des Heimwegs hin: sie aber sind in der Welt. Wie reich wird er, wie arm sind doch die Seinen, ärmer als sie vordem waren (1. Kor. 15, 19). Die Welt ist ihnen entfremdet, ihr Sinn ihr entwachsen, ihrem geheiligten Blicke ist sie Lüge, ihrem geschärften Schein. Aber die Welt der Herrlichkeit ist ihnen noch verschlossen. Sie haben Hohes empfangen, als sie aber das Höchste in Aussicht hatten, entzog sich ihnen der, welcher jenes gegeben und dieses verheißen hatte.

 Ich daheim, sie in der Fremde, der Hirte im Frieden, die Herde im Streit, das Haupt in stolzer Ruhe, die Glieder in der Angst. Ich komme zu dir, das ist gewißlich wahr, sie aber sind voll Trauerns geworden.

 Ja, wenn sie nur bereit zum Gehen und bereit zum Bleiben wären! Aber wie unreif sind sie doch, obgleich Jesus in ihnen verklärt war! Auf einem taubeglänzten Blatt am Baum kann sich die Sonne spiegeln und von ihm ihr heiliges „Angesicht“ zurückempfangen, und doch bleibt dies Blatt schwach und schwankt. Wie haben sie in törichtem Rangstreite um die Ehrenstellen im Himmel geeifert, als ob es nicht der Seele genug tun müßte, wenn sie nur daheim ist! Welch ungute Gespräche haben sie auf dem Wege geführt und welchen Unverstand der Verkündigung des Leidens als des einzigen Wegs zur Herrlichkeit entgegengebracht! Sie haben sich alle vermessen, bei ihm auszuhalten, und nicht einmal der engste Kreis der drei Erwählten konnte eine Stunde mit ihm wachen. Sie haben als ungläubige und verkehrte Art sich erwiesen. – Und so läßt sie Jesus, weil seine Stunde gekommen war, allein in der Welt. Die sie schützende Hand wird zurückgezogen – wird die im Gebet erhobene den Schutz ersetzen? Das für sie eintretende Wort: „Sucht ihr mich, so laßt diese gehen“ schweigt, nur die Fürbitte wirkt weiter. Mag das genug sein? Man spürt aus der hellen Freude jauchzender Heimatlust das Weh heraus: es liegt Jesu beides hart an, Gehen und Bleiben.

 Um der Seinen willen, daß sie reifen, völliger, gefestigt werden, bittet er für sie, daß sie in ihm bleiben und an ihm wachsen. Es ist ja schließlich doch das Beste, daß er heimgeht: nur dann werden Kinder Männer, Schwächlinge Helden, Unreife Charaktere.

 „Als du mir nahe warst, da warst du mir so ferne. Nun du mir ferne bist, bist du mir so nahe,“ sagt Luther. Allein gelassen dringen sie in die Tiefe, aus der sichtbaren Gemeinschaft genommen suchen und finden sie die unsichtbare. Des Abends, als er ging, währte das Weinen, aber am Morgen war Freude da (Luk. 24, 52). So ward Jesu Hingang des heiligen Geistes Eingang, ihr Heimweh ward zur Kraft, mit der sie um die Heimat arbeiteten.