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Der ihn in seinem Namen erhalten will, muß und wird ihn aus dem Argen erretten und vor ihm bewahren. – In Gott getrost rüstet sich der Herr jetzt zum Scheiden. Die Seinen sind in treuer Hut. Nicht verziehen wollte er sie und nicht verweichlichen durfte er sie, aber stählen und stärken und dann aussenden. So sie etwas Tödliches trinken werden, soll es ihnen nicht schaden, auf Ottern und Schlangen sollen sie gehen und unversehrt bleiben, sie sollen vor denen sich nicht fürchten, die nur den Leib töten, weil sie dem in heiliger Furcht nahen, der Leib und Seele des Ungetreuen und Wankelmütigen verderben kann.

 Und wie versöhnend klingt die Bitte nochmals an und aus: Wie der Meister nicht aus der Welt ist, so ernst er in ihr war, so sind es auch die Jünger nicht. Ohne Gott sind sie allein, auch wenn die ganze Welt ihnen sich zugesellte, mit ihm sind sie in der Gemeinschaft der Seligen und am Heiligen, wenngleich ein Heer wider sie sich legt.

 Alle Rinnsale, die vom Meere ausgehen, fließen ins Meer zurück. Alle Strahlen, die das Licht der Sonne sendet, streben zu ihr zurück. Alle Gaben und Kräfte, von Gott ausgegangen, verlangen nach ihm zurück. In diesem strebenden, lebensvollen Verlangen werden die Jünger bewahrt und geeint, bewahrt vor dem trennenden vereinsamenden Feinde, geeint untereinander. „Streitet nicht auf dem Wege“ ward ihnen geboten, damit jedermann ihre Jüngerschaft daran erkenne, daß sie Liebe untereinander haben. Und diese haben sie, weil sie den lieben, von dem sie alle stammen und zu dem sie alle wollen.


Heilige sie in Deiner Wahrheit, Dein Wort ist die Wahrheit.

 Je mehr die Wahrheit, diese den Schein zerteilende und das Wesen der Dinge herausstellende Gotteskraft die Seele des Jüngers erfaßt, desto mehr wird er der Welt entzogen und desto freier von ihr kann er ihr dienen. Wahrheit ist der Welt abhanden gekommen, und an diesem Mangel stirbt und siecht sie dahin. Seit dem Tage, da ein in der Wahrheit nicht bestandener und außerhalb ihrer Wohnung haltender Geist der unruhvollen und peinigenden Ungewißheit gefragt hat: Sollte Gott gesagt haben, und gehöhnt hat: Was ist Wahrheit? – ist die Welt dem Trug verfallen und verhüllt die Ihrigen in Täuschung, aus der sie erst erwachen, wenn der Tod den Dingen Schein und Schimmer abstreift und mit der Nacktheit der Wirklichkeit den Sieg der Wahrheit verkündet.

 Aber Jesus betet um die heiligende Kraft der Wahrheit, die durchdringt, bis daß sie scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, wo Täuschung Raum hat und Betrug sich einnistet, die lieber tötet – ni perisses, perisses – als schont und entseelt, um zu beleben.

 Und seine Jünger haben ein Gebet, das ein junger Diener Christi (Martin Kögel, gestorben zu Kassel 31. Mai 1894) aus Joh. 15, 12 sie gelehrt hat: