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Persönlichkeit dargelebt zu sein? Eine Christusidee, ein Erlösermythus schwebt durch die Zeiten, der Wunsch, daß er sein möge, wird der Vater des Gedankens, daß er sei, und der Gedanke wiederum schafft das Lebensbild. Alle die Züge, welche schlichte Beobachtung, einfache Betrachtung, aufmerksame Jünger sich gemerkt und aufbewahrt haben, sind die Dichtungen raffinierter Phantasten und religiöser Hysteriker, welche so weit in ihrer Abgefeimtheit gehen, daß sie in dieses also gezeichnete Lebensbild ihre eigene Ärmlichkeit und Kleinlichkeit hineinreichen, damit sie mehr Glauben erwecken. Napoleon I. hat mit Recht gesagt, das Lebensbild Jesu zu erfinden sei gewiß ein göttliches Werk, d. h. nur Gott konnte dieses Lebensbild in seiner geschichtlichen Tatsächlichkeit vor den Augen armer Menschen sich vollziehen lassen, die es dann mit zitternder Hand und schwachem Griffel uns überlieferten. Es sind nicht Zeichnungen auf Goldgrund, die Farben sind oft ungeschickt gewählt, der Griffel scheint beim Versuch, den kühnsten Zug zu führen, abgebrochen, die Unzureichendheit der Darstellung wird durch die Unerreichbarkeit des Darzustellenden ebenso hervorgehoben wie diese durch jene. Aber die Schlichtheit ist Erweis der Wahrheit und die Wahrheit das Siegel auf die Wirklichkeit. Christus ist nicht die Projektion eines Begriffes, noch der armselige Versuch, eine Menge von Gedanken auf eine Person gleichsam zu fixieren, weder ein lichtes Wolkengebilde noch ein trüber Schatten riß, sondern, „was wir gesehen mit unseren Augen, was wir gehört, was wir beschaut und unsere Hände betastet haben“, – so wenig es auch war, weil das Ohr sein Wort nicht ganz erfassen und das Auge nicht ganz die Erscheinung in sich schließen und die Hände nur zitternd an das Geheimnis rühren konnten –,

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Hermann von Bezzel: Christentum und Kreuz. Trowitzsch & Sohn, Berlin 1912, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Christentum_und_Kreuz.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)