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ist der Sonnenstrahl, der mein Antlitz labt; Gott ist die finstere Nacht, die mir den Schlaf gönnt; Gott ist der Frühling, der neues Leben bringt; Gott ist des Herbstes Ernst, der mir die Ernte schenkt.“ Das allgemeine Wort von einem Gott, der alles ist, nur nichts faßbar, hat etwas sehr Poetisches. Aber so gewiß die Sünde nicht poetisch, sondern der Schrecken des Lebens ist, so gewiß brauche ich nicht Poesie über Gott – die kann empfindsamen Gemütern überlassen werden. Ich brauche einen, mit dem ich rede: Du! und der mir antwortet: Ich! Was hilft es dir, wenn ich sage: Siehe in diesem Raume ist die Barmherzigkeit anwesend, und du kannst sie nicht fassen? Was tröstet es den Armen, wenn ich ihm die Bildnisse barmherziger Männer und Frauen zeige und spreche: Es umgibt dich die Geschichte der Barmherzigkeit! und niemand tritt aus dem Rahmen heraus, um ihm die Tränen zu trocknen und die edlen Bilder geben ihm kein Brot? Die Leute wissen nicht, welchen Raub sie an der Seele nicht bloß des Menschen, sondern der Menschlichkeit begehen, wenn sie Gott in Begriffe, Gefühle, Gedanken auflösen. Von jener Dienerin eines großen Malers wird erzählt, daß sie, um sein bestes Werk von Staub zu reinigen, Scheidewasser nahm. Der Staub ging allerdings von dem Gemälde weg, aber die Farbe auch und das Bild löste sich in ein buntes Gemenge auf. So machen es die, welche, um den Begriff Gott recht rein zu erhalten, mit dem ätzenden Wasser ihres Verstandes das göttliche