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verflachen sie. Und der oberflächliche Mensch ist eben der, der von dem Raum abhängig ist, auf dem er weilt, von dem Genuß seiner Wohnung, von der Speise, die er zu sich nimmt, von dem Schauspiel, das an ihm vorüberzieht, von den Torheiten, über denen er den Himmel verliert und die Hölle verdient.

 Aber bist du Herr über Raum und Zeit, so rächen sich beide an dir; sie rächen sich für deine Herrschaft. Wenn du schwerkrank darniederliegst und kannst kein Glied mehr rühren und andere müssen dich tragen, heben, betten wie ein hilfloses Kind: das ist die Rache, die der Raum an den Menschen nimmt. Und wenn du von dem Schmerz des Augenblicks ganz hingenommen bist, und wenn die Zeit der Rüstigkeit zu Ende geht und du spürst es, daß es nimmer so ist, wie in früherer Zeit, und die Kirchhofblumen immer eindringlicher für dich blühen und zu dir reden vom Ende, merkst du, das ist die Rache der Zeit.

 Gott ist Person, weil er über Raum und Zeit ebenso gebietet wie ich. Aber er ist die Person, weil Zeit und Raum nicht über ihn gebieten. Das ist mein Trost, daß ich sagen kann: du kennst die Zeit, in der ich lebe, mit ihrer Angst und ihren ungelösten Fragen, mit ihren Rätseln, die niemand deutet, mit ihren Zeichen, die niemand versteht. Du bist aber Herr der Zeit; an dir stürmt sie vorüber und du bleibst ewig jung und frisch. An deinen Füßen ziehen die Wogen des Geschichtsmeeres vorüber, aber sie können dich nicht berühren.