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das ist seiner nicht wert. Aber eine Frage wird er an uns richten, bei der es keine Ausrede und keinen ausweichenden Bescheid und keine Ausflüchte und kein Mehr und kein Weniger von Zugeständnissen und Zurückhaltung gibt: hast du mich lieb? Nämlich so lieb, daß du jetzt in der Scheidestunde, wo dich alles läßt und du alles lässest, mit mir vorlieb nehmen kannst und sprechen magst: „wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.“ (Ps. 73, 25.)

 Das ist die Gerichtsfrage, die so einfach ist, daß man meint, einem Kinde könnte ihre Beantwortung leicht fallen, und die doch so furchtbar ist, daß der Mann vor ihr erbebt. Jetzt ist es leicht zu antworten; vielleicht nach dieser Betrachtungsstunde, wenn du allein heimgehst, da sagst du zu deiner Seele: so leicht ist dir das Christentum noch nicht gemacht worden, wie in dieser Abendstunde. Ich brauche ja nichts anderes, als Jesum lieb haben, ein leichtes Beginnen. Ich habe schon manchmal geweint, wenn ich an seine Passion gedacht, ich habe mich auch manchmal gefreut, wenn ich von seiner Großtat hörte. Ich habe immer Beziehungen zu ihm gehalten. Das ist ja alles nichts, das ist gar nichts. Das Gefühlschristentum hat noch niemand vom Tode erlöst, sondern darauf kommt es an, daß du in deiner Todesstunde, da alle Redensarten auf deinen Lippen ersterben, weil wir ganz allein stehen und niemand auf unsere Redensarten etwas gibt, sagen kannst: Du weißest alle Dinge, mein ganzes Leben mit seiner Last und seiner Schuld kennst du, aber du weißt, daß unter Geröll und Gestrüpp und Verfall eine köstliche Silberader hindurchging – viel verborgen, kaum sichtbar, oft wie entschwunden, aber immer wieder hervorkommend und zur Erscheinung drängend – und diese Silberader hieß: Liebe zu dir!

 Ja, wie ist es denn, wenn der Herr Christus die Frage an einen Menschen richtet, der überhaupt nicht mehr lieben kann, dessen Herz so enge geworden ist, daß nur sein Ich in ihm Raum