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neuer Morgen. Es kommt die Zeit, wo ich an jedem Abende eines Ewigkeitstages sagen darf: „Siehe Herr, das Pfund hat zehn andere gewonnen!“ (Luk. 19, 16.) Das heißt: ihm dienen in ewiger Unschuld.

 Und endlich, ihm dienen, nicht nur in ewiger Gerechtigkeit und Unschuld, sondern auch in ewiger Seligkeit. Daß alle meine Wünsche, soweit sie über mich hinausreichen, erfüllt werden; daß alle meine Gedanken, soweit sie von mir gewichen sind, erhört werden; daß all mein Sehnen, soweit es nicht an mich gebunden ist, gestillt wird – das ist Seligkeit. Oder daß ich’s ganz kurz sage: daß meine Wirklichkeit und seine Wahrheit, sein Ideal und mein Wesen eines werden – das ist Seligkeit!

 Seht, vor ihm steht das Bild, das er von mir im Herzen trägt. Ich habe es verzeichnet, ich habe es übermalt, ich habe es geschminkt, ich habe es entstellt. Und darum wendet er sein Antlitz von mir und spricht: „Das ist nicht das Bild, das ich von dir trage, ich kenne dich nicht.“

 Und so geht das ganze Leben darüber hin, daß man die Schminke und den Heuchelschein von sich wegtilgt, wegwäscht im Blute Jesu, daß man das Zerrbild und die Karikatur des Heiligen von sich bannt.

 Wenn es dann zum Sterben geht, fleht die Seele: „Erkenne mich, mein Hüter, mein Hirte, nimm mich an!“ Und er antwortet: „Ich bin ein rechter Hirte und erkenne die Meinen.“ (Joh. 10, 14.) Nun erkennt der Künstler wieder sein Bild; denn Sterbensnot und Lebensangst und Leidensschwere und Todesernst haben das Unechte und das Ungute, das Scheinwesen und das Falsche aus dem Bilde ausgetilgt und weggetan. Nun ist es wahrhaftig wieder Gottesbild geworden. Das heißt: „in ewiger Seligkeit ihm dienen.“

 Mit diesem frohen Ausblick laßt uns von der heiligen und seligen Wahrheit des zweiten Glaubensartikels Abschied nehmen.