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hineingewachsen, sondern in den Besitz. Versteht mich recht! Ihr alle, die ihr kleinen Kindern lauschet, wißt, welch ein Unterschied ist zwischen dem Weinen der Hilflosigkeit und dem Weinen des Eigensinnes. Die kundige Mutter, die ihr Liebstes nicht fremden Händen anvertraut, merkt es sofort, ob das Kind weint, weil es sich nicht anders äußern kann, oder weil es sich nicht anders äußern will. Solche Tränen des Eigensinnes, des Trotzes, der Ungebühr sind über des Heiligen Augen nicht gegangen. Aber die Tränen der Armut, der Hilflosigkeit, die Tränen des Allmächtigen, der ohnmächtig wurde, die hat er geweint.

 Es ist das nicht fremde Theologie, ausgeklügelt in dumpfer Studierzelle eines weltfremden Theologen, sondern es ist meines Herzens Höchstes, meines Lebens Trost und Teil, wenn ich sage: „gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden“ (Phil. 2, 7), ganz arm, ganz hilflos, ganz ohnmächtig, bettelnd um das Lächeln der Mutter, flehend um die linde Hand der Menschen und dabei doch allmächtig. Wer das fassen kann, der fasse es!

 Ja, er ist hilflos gewesen und ist herangewachsen im Kampf mit den Gewalten der Sünde. Er hat die Lockungen erfahren, die unsere Jugend umkosten, und die Drohungen, die sie umtosten. Er hat die kleinen Ausreden, mit denen der Knabe zu großen Lügen sich rüstet, ebenso kennen gelernt, wie die kleinen Künste, mit denen das Kind eine Liebe nicht empfangen, sondern verdienen will. Er hat das alles gekannt, aber nicht geübt; er hat alles das gelitten, aber nicht geliebt. Er hat die Versuchung zu allen Unarten des Kindes: Trotz, Eigensinn und die satanische Zerstörungssucht, durch welche sich das Kind zum erstenmal als Sünder erweist, an seinem eigenen Leben erfahren, aber sie waren nicht sein eigen. Wenn du einem Kinde zuschaust, wie sein Spielzeug erst dann ihm wert wird, wenn es zerstört ist, wie es dann das Spielzeug an sich drückt, nachdem es verderbt und verunehrt