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 Darum preise ich meinesteils die Kirche und ihre Weisheit, daß sie in das große Geheimnis unbegreiflicher Art, in das Geheimnis von dem Gotte, der Mensch ward, und von dem Menschen, der Gott blieb, keinen anderen Namen hereingeschrieben hat, als den Namen seines Feindes. So beweist man seinen Glauben.

 Unter Pontio Pilato angefochten, verfolgt, verhöhnt, verdammt, verdächtigt, unter Pontio Pilato gekreuzigt, gestorben und begraben – und dennoch der Christ Gottes! Unter Pontio Pilato als ein Nichts erwiesen und dennoch meiner Seele ihr Alles! Unter jenem Namenlosen, einem Manne, den das ärmste Schulkind kennt, den der gelehrteste Forscher nicht kennen würde, wenn er nicht im Glaubensartikel stünde, unter diesem Namenlosen und doch viel Genannten lischt das Licht der ewigen Allmacht aus, aber nicht um im Dunkel zu bleiben, sondern um wieder zu leuchten und das Licht der Welt zu sein.

 Vier Worte möchte ich euch an diesem einen: „unter Pontio Pilato“ darlegen. –


I.

 Pilatus heißt nach neuerer Forschung: der Freigelassene, der Mann mit dem Hute, den bei den Römern die freigelassenen Sklaven trugen. Hier der Freigelassene, der Mann des Knechtssinnes und der Sklavenlaune, der Mensch, von dem zeitgenössische Schriftsteller sagen, er wäre unbeugsam in seinem Haß, abhängig von allen Menschenlaunen, der mehr auf die Qual des jüdischen Volkes als auf seinen eigenen Vorteil bedacht gewesen. Hier der Mann, der alles was er ist und was er hat, der Gunst des römischen Kaisers verdankte. Dort der, der von sich sagt: „So euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei!“ (Joh. 8, 36.) Das nennt man in meinen Augen Pragmatik der Geschichtsschreibung, wenn man die Gegensätze so ungesucht und ungekünstelt und darum so wirksam aufeinander treten läßt: