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Wogen wachsen, Herzen beben – und er schläft! Das ist die Not Gottes, wie sie sich, so kindlich arm und so menschlich leidvoll, ganz in das Bedürfnis und die Forderung der Stunde ergibt. Das ist die Not Gottes, die nie an sich und immer nur an andere denkt, daß sie sich vom Leid überwältigen läßt. Faßt es zu Herzen, was es heißt: Jesus schläft. Man kann es nicht aussinnen, was eingetreten wäre, wenn nun der Sturm das Fahrzeug zerschellt und die Wellen das Schifflein ins Meer versenkt hätten, was dann gewesen wäre, wenn der Sohn des allmächtigen Gottes in die Tiefe gefahren wäre. Hoffnungen hat er erweckt – Hoffnungen hat er getäuscht; Versprechen hat er gegeben – Versprechen hat er gebrochen. Auf dem Meeresgrunde bleichen die Gebeine dessen, der die Welt zu erlösen verheißen hatte!

 Aber in dieser Armut und Ohnmacht liegt Allmacht und Reichtum. Er schläft, weil auch dem Schlafe die heilige Treue nicht gebricht. Er schläft, weil auch der Ruhe die Allmacht nicht entweicht. Er schläft, weil er auch im Schlafe die Seinen schützt; er ruht, weil seine Ruhe den Seinigen Frieden bringt. Wenn der Meister schläft, so ist die Gefahr nicht groß; wenn der Arzt ruhig ist, so ist die Krankheit nicht zum Tode. Wenn er, der Heiland, sich in den Frieden des Schlafes birgt und bettet, dann kann der Feind die Seinen nicht besiegen. Jesus schläft, das sei nicht Gegenstand deiner Trauer und deiner Angst, sondern deiner innerlichen und seligen Friedensgewißheit: „Weil er schläft, darum werde ich wohl bleiben, er hilft mir frühe.“ (Ps. 46, 6.)


II.

 Und das zweite Wort der Not Gottes: „und es ward Nacht.“ (Joh. 13, 30). Ich bin das Licht der Welt, spricht er. Wie wenn der Morgenstern frühe aufgeht, jugendlich froh, frühlingsmäßig, groß, eine Fülle von Möglichkeiten in sich bergend, eine Menge von Licht in sich beschließend, langsam, siegreich, der Sonne voraufleuchtend,