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nicht bloß um die Sünde weiß, sondern der sie durchmessen hat. Dem himmlischen Vater ist die Sünde etwas Fremdes, Unvertrautes, Unverträgliches, aber dem Sohne, der ins Leid der Sünde sich gab und die Sünde mit all ihren Reizungen und Lockungen, mit ihrer Schwächlichkeit und ihrem Glanze durchlitt, an seiner Persönlichkeit durchkostet hat, ist sie das abgründige Geheimnis, dem ins Angesicht sehend er für die betet, die versucht sind, daß sie zu ihm flüchten. Ich kann dem himmlischen Vater die Fülle der Versuchungen, die mich umringen, nie so darschildern, wie dem, zu dem die ganze Kirche ruft: Der du trägst die Sünde der Welt, erbarme dich meiner! Denn ich habe hier nicht die Erinnerung anzusprechen, die jetzt im Lichte der Heimat und in der Kraft der Herrlichkeit zerrönne, sondern ich wende mich an sein ewig heiliges treues Gedächtnis, an die Zeichen des Leidens, die er trägt, erinnere ihn durch seine Leiblichkeit an die Zeit, da die Sünde ihm Not machte. Lassen Sie das Gebet zum Hohenpriester, der für uns betet, eine Kraft sein, die alle dogmatischen Prämissen und alle Einreden überwindet, glauben Sie! Und wenn das Gebet zum erhöhten König nichts anderes wäre denn der Zusammenschluß der im Kampf Stehenden mit dem bereits zum Siege Gelangten, so wäre es etwas Großes.

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 Wir treten durchs Gebet zu Jesus hin, der den Kampf nach seiner Tiefe und Weite, nach seiner Größe und Schwere durchmaß. Wie der Apostel einmal sagt, der verklärte Herr hat uns ein ὑπόγραμμον, d. h. dieses kurz, kompendiarisch zusammengedrängte Lebensbild hinterlassen, das jetzt von der Glorie des Sieges überstrahlt ist. Er hat uns, den Gliedern der streitenden Kirche, mit wenigen Zügen in faßlicher Weise gleichsam als Abc für den Anfänger die ganze Ernstlichkeit des Leidens hinterlassen und diese Ernstlichkeit des Leidens durch die Gewißheit verherrlicht, daß aus dem Leide, wenn es ernstlich getragen wird, die Freude, und aus der Schwachheit, so sie innerlich durchkostet wird, die Kraft sich erhebe. So betet die Gemeinde zu ihrem Herrn: Deute mir dieses Zeichen, verkläre dieses Zeichen in mir, laß mich dir ähnlich werden durch das Geheimnis: vom Leiden zum Ruhm, von Schwachheit zur Kraft. So verklärt er auf das Gebet der Seinen hin, durch den Zusammenschluß der Leidenden mit dem Sieger diesen geheimnisvollen Leib seiner Kirche, er verklärt ihn durch Wort und Sakrament. Jedes Wort des Herrn, das er hier in seinem Erdenleben sprach, ist jetzt von der Majestät der Erfüllung überleuchtet und durchhellt. Zu jedem Wort steht jetzt die Gewißheit: so, wie er sprach, und da, wo er sprach, und die zeitliche Umschränkung, das alles ist aus der Enge des Speziellen in die Welt des seligen

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Hermann von Bezzel: Der erhöhte Herr. Furche, Berlin 1914, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Der_erh%C3%B6hte_Herr.pdf/15&oldid=- (Version vom 5.7.2016)