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Lebhafte Hoffnungen sind Fiebererscheinungen, von denen Nietzsche einmal sagt, daß sie im letzten Grunde Lebenstäuschungen seien. Aber die lebendige Hoffnung (1. Petri 1, 3) hat die Kraft, den Anker durch den Vorhang der Zeitlichkeit, der uns das ewig Reale neidisch noch verbirgt, hineinzuverankern in die Gründe tragfähiger und tragwilliger Gottestreue (Hebr. 6, 19). Um der lebendigen Gotteshoffnung willen war es not, daß er dem Grabe sich entnahm. Suchende, fragende Augen heften sich auf den Stein vor der Grabestür. Leiser und lauter anschwellend erhob sich die Klage: „Wir hofften, er solle Israel erlösen.“ Da, am dritten Tage, als die Hoffnung zu sterben schien und „das schwache Windlicht des Glaubens nahe dem Erlöschen“ war, hat er den Tod beschämt und die ἀφθαρσία des Lebens ans Licht gebracht. „Hinfort merk ein jeder, daß den Mann das Grab nicht gewinnen kann,“ sagt Luther.

 „Am dritten Tag auferstanden von den Toten,“ also jubiliert die bekennende Kirche. Was hätte sonst der fromme Glaube, der getäuscht sich doch nicht täuschen läßt, was hätte die kindliche Hoffnung, die entblättert doch nicht ganz welken will, von ihm gesagt? Nichts anderes, als was der Verräter auch sagen konnte: Rabbi, du unschuldiges Blut. Wir wären zu Haus gekommen und hätten einander gesagt, daß ein herrlicher Lehrer entschlafen sei und hätten einander gelobt, dieses Lehrers Andenken zu feiern, hätten bedauert, daß der Unschuldige so schwer leiden und so wenig Genugtuung haben sollte. Und jeder wäre an seinen Ort gegangen.

 Aber am dritten Tage! – Die Gemeinde Jesu erkennt hierin die Größe, mit der die Ewigkeit an ganz bestimmte, scheinbar enteilende und fliehende Zeitformen sich wendet. So wird sie gewahr, es sei eine der größten Eigenschaften der Unmeßbarkeit, daß sie zwar von der Endlichkeit sich nicht erschöpfen, aber von der Endlichkeit sich fassen läßt. Es ist, als ob die Ewigkeit um diese Zeitverbannung trauert und nun, da die Zeit gegen sie im Tode Jesu protestiert, ihr zuriefe: dir will ich dienen um dessentwillen, der auch mir gedient hat. Hinfort nennt die Gemeinde diesen Tag: ἡμέρα κυριακή, vom Herrn, im Herrn, zum Herrn, vom Herrn in diese Zeitlichkeit eingeheftet, eingebetet und eingelitten. Es ist der Tag, nach dem alle Erdentage wie nach einer ewig leuchtenden und nie vergehenden Sonne sich orientieren. Auf diesen Tag richtet die Gemeinde ihr Auge, wenn alle Schrecken sie umringen, wenn die Nächte so lang und das Morgen rot so karg und die Abende so jäh sich zeigen. „Wächter, ist die Nacht schon hin?“ Und sie sieht zu diesem Tag hinaus, wenn sie am Abend betet: „Ja, komm, Herr Jesu, ja, komme bald.“ Das ist die Majestät des Wortes „am dritten Tage“. Nachdem er durch die samstägliche Ruhe allen Sterbefrieden

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Hermann von Bezzel: Der erhöhte Herr. Furche, Berlin 1914, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Der_erh%C3%B6hte_Herr.pdf/5&oldid=- (Version vom 5.7.2016)