Seite:Hermann von Bezzel - Die Beurteilung der Fleischessünde in unserer Zeit und in der heiligen Schrift.pdf/4

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seinem Ende nahe sich wußte, hat er mit warmen Segensworten all derer gedacht, die Afrika vom Joche der Sklaverei und von der Schande des Menschenhandels frei machen wollten. Gesegnet seien Christen und Mohamedaner, Schwarze und Weiße, welche dieses Joch abzuschütteln helfen werden, hier sei kein Unterschied, sondern friedlicher Weltkampf um gemeinsame Interessen. Mögen die Voraussetzungen und Folgerungen ganz andere sein, die Arbeit ist die gleiche! Wir begrüßen alle Arbeit in ehrlichem und rechtlichem Kampf gegen die verwüstende Leidenschaft, gegen die frech am Volksmark zehrende Geilheit und Gemeinheit, wir danken für allen seelsorgerlichen Ernst der Aerzte und der Richter, und wenn wir nicht an der Spitze der Bewegung stehen können oder dürfen, sind wirs zufrieden, wenn unsere treugemeinte patriotische Arbeit in die große Bewegung der gesunden Kräfte in unserem Volksleben mithineingenommen werden will, und uns die edelste und tiefste Sorge bleibt, den in dem Bekenntnis zum wahrhaft Reinen und Großen verankerten Grundprinzipien Beachtung und Geltung zu verschaffen. Lassen Sie, verehrte Anwesende, uns frei von der gerade im Kampf so häufig sich zeigenden und so schädlich wirkenden Eifersüchtelei bleiben, die nur der gemeinsame Feind sich zunutze macht, und alle Bestrebungen ehren und pflegen, welche dem Kreuzzuge gegen das nahende und drohende Unheil gelten.

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 Eine Frage muß vor der Ausführung des Themas noch kurz erläutert werden. Ist es ethisch zu rechtfertigen, daß gerade die fleischliche Sünde, also jedweder Mißbrauch zu bestimmtem Zweck geordneter und in ihm versittlichter Funktionen, als besonders sündlich markiert und so das sechste Gebot aus dem psychologischen Zusammenhang, in den es ewige Ordnungen eingestiftet haben, gelöst wird, um in solch überspannter Isolierung erst recht gefährdet zu sein. Sagt nicht Luther mit feiner Weisheit, daß wer den Zaun göttlicher Satzungen auf einem Punkte übersteige, ihn eben ganz überstiegen habe, wer die Perlenschnur irgendwo löste, alle Perlen in den Sand gleiten lasse? Es ist zuzugeben, daß in Predigt und Unterweisung der praktischen Seelsorge manche Einseitigkeit unterlaufen kann, in der Bedeutung und Gefahr der Fleischessünde „überdeutet“ wird. Gewisse populäre medizinische und pastorale Mahnungen stellen eine bestimmte Verirrung gegen die Sittlichkeit in so grellen Farben dar, daß das kainitische Trotzeswort der weltlichen Traurigkeit: „Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden könnte,“ dem Herzen Verzweifelnder sich entringt, sie in neue Sünde treibt, da doch keine Rettung mehr zu erhoffen sei. Aber feststehen soll auch, daß die Volkslogik, welche das Wort „sittlich und unsittlich“ nur auf den ganz bestimmten durch Reinheit und Unreinheit in sexuellen Beziehungen eng umschriebenen Kreis einschränkt und bezieht, aus tiefem Verständnis der Lage erwachsen ist: Nirgends greift das Somatische in feinster Veräderung so in das geistige und seelische Leben über und ein, sich zu rächen für die durch Unerzogenheit und Heillosigkeit des