Seite:Hermann von Bezzel - Die Beurteilung der Fleischessünde in unserer Zeit und in der heiligen Schrift.pdf/5

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Gemüts- und Phantasielebens entrechtete Leiblichkeit, die zerbröckelt und zerstört wird. Auf keinem Gebiete entäußert sich der Mensch so seiner gottvermeinten, weil gottgeordneten Würde, als auf dem geschlechtlichen, auf dem er in rein äußerlich mechanischer Weise Kräfte vergeudet und in diesem Prozesse versinkt, der ohne tiefere Begründung und Abzweckung nur die Bestie im Menschen weckt und befriedigt, bis neue Reizungen weiter treiben und endlich den Menschen an sich selbst sterben lassen. Kapitalien von Wille und Lebenskraft, von Gedanken und Gedankenarbeit auf einen zweifelhaften Genuß gewendet, liegen tot und ertraglos darnieder. Und die Geschichte predigt es auf den Gräbern ihrer größten Gebilde, aus dem Hinsterben edelster Geschlechter, daß in der Wollust – erst seit Lessing hat, nebenbei gesagt, das Wort seine üble Beibedeutung – der sicherste Verderb der Völker ruht, und nationale gesunde Entwicklung dann rettungslos aufgehalten wird, wenn die sera Venus verfrüht, verallgemeinert, und ernste Pflicht zu eklem Genuß wird.

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 Unsere Zeit ist nun vielfach geneigt, das ganze Gebiet erotischer Betätigung in reizvolles Licht zu rücken und von Verfehlungen da nimmer reden zu lassen, wo dem Drange der Sinnlichkeit rückhalt- und restlos nachgegeben wird. Denn das scheinen mir die zwei Charakteristika für die moderne Behandlung der sexuellen Verfehlungen zu sein: Man rückt sie in lockende Beleuchtung und sichert der Tat selbst mildeste Beurteilung zu. Die Litteratur, welche zur schrankenlosen Betätigung des Naturtriebs, der dann vom Natürlichen zum Widernatürlichen fortgerissen wird, auffordert, ist unübersehbar und sickert durch tausend Kanäle verheerend und schwächend in die öffentliche Anschauung über. Es hilft nicht, Wagenladungen von Schandbüchern zu konfiszieren, wenn für Liebhaber und „Kenner“ eigne Buchsendungen und Büchereien geduldet werden. Die polizeiliche Remedur ist überhaupt nur äußerliche Maßregel in Dingen und Erscheinungen, die von innen heraus und von unten heraus durch Reinigung und Heiligung des Volksgewissens reformiert sein wollen. Man möchte fast an das taciteische Wort (ann. XIV 50) denken, libros conquisitos lectitatosque, donec cum periculo parabantur; mox licentia habendi oblivionem attulit. Wahre Arsenale der Sinnlichkeit hat ein neuer Kulturhistoriker (Johs. Scherr) diese Obszönitäten genannt, in denen wahrhaftig nicht mehr der „gute Witz das Nickel des Obszönen vergoldet“ (Anton Brück, Badearzt in Driburg über Nitzsches Schrift: Vom Erhabenen und Komischen). Ich habe mir – es muß gesagt werden – die schändliche Mühe gegeben, einen solchen Roman bis auf die letzten Seiten, da der physische Ekel übermächtig wurde, zu lesen. Er ist betitelt „Das Testament der Wollust“ und schildert in erbärmlichem Stil mit Verhöhnung des Gotteswortes, die ich nicht andeuten kann, in behaglicher Breite, mit der das Schwein sein Element durchmißt, wie der Verfasser, der seine Autobiographie ohne Erröten zum besten gibt, in den Dienst der Sinnlichkeit eingeführt wird. Der Anblick der Aphrodite