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dessen man die 92. Lutherthese vergessen kann, daß alle jene Propheten dahinfahren mögen, die zum Volke Christi sprechen: Friede, Friede – und ist doch kein Friede. Wenn die Bibelkritik in rückläufiger Bewegung ist, da so ziemlich alle Unmöglichkeiten an dem vile corpus der Schrift versucht und erwiesen waren, so ist doch die Autorität der Schrift in der Kirche und bei den Dienern des Wortes weithin erschüttert. Die Zukunft der Kirche ist die Zukunft ihrer Irrtümer oder die erneute Gegenwärtigkeit ihres Besitzes. Ob noch einmal, ehe der Welttag sich neigt, wie etliche hoffen, eine die Vollendungsherrlichkeit vordeutende Zeit seliger Ruhe für die Kirche kommen wird, in der sie ihres Besitzes froh und den Anläufen des Satans entnommen sein darf, weiß ich nicht. Die Jetztzeit ist keinesfalls eine Zeit des Hochgangs für bekenntnistreues Leben, das die Weitschaft der Hoffnung mit der sorgsamen Behütung des Kirchenschatzes verbindet – aber so still und unbemerkt die Wasser zum seligen Meere hin sich bewegen, sie bewegen sich doch. Die Kirche schreitet doch, ob auch unter viel Mühe und Beschwerden, ihrem hohen Ziele zu. Und derer, die um das apostolische Wort als um eine unverrückbare Grundlage sich scharen, sind immer so viel, daß der Herr, der auf das Kleine sieht, sie nicht übersehen will.

 Wir vergessen inmitten aller Größenbegriffe und angesichts der nach Majoritäten gewerteten Erfolge, bei der grobsinnlichen Gegenwart, die eine Idee nicht auf ihre Richtigkeit und Berechtigung, sondern auf den ihr werdenden Beifall ansieht, daß der Artikel der heiligen christlichen Kirche wie der ganze Umfang der Realitäten, dem er entnommen ist, ein Glaubensartikel ist, dessen Tragkraft ebensowenig von unserem Willen abhängt als seine Tragweite von unserem Wirken, der aber schon das Festhalten lohnt, weil er den Willen der Geduld, dieser geheimen Kraft der Heiligen, stärkt und durch ihn immer mehr an die Sichtbarkeit heranrückt.

 Es ist mir wenigstens kein Zweifel, daß aus der beharrlichen Geduld, dieser Werbekraft der gerechten Sache, langsam, von keinem der Zeitgenossen zu erleben, aber von ihrer vielen freudig begrüßt, die Einheit der Gläubigen erwächst, welche nicht Marksteine und Grenzlinien verwischt und verrückt und das geschichtlich Gewordene, in das der Einschlag göttlicher Weisheit – nicht einer, genau besehen, unfaßlichen und unbegrifflichen Zulassung Gottes – eingewirkt ist, mit einem Machtwort beseitigt, sondern in den vielen Wohnungen des Erdenlebens und Kirchenwesens

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Hermann von Bezzel: Die Heiligkeit Gottes. Dörffling & Franke, Leipzig 1916, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_Heiligkeit_Gottes.pdf/7&oldid=- (Version vom 9.9.2016)