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 Laß dein Kind, sobald es „Ich“ sagen kann, im Gedächtnis bewahren, daß es ein „Du“ gibt. Fichte der Aeltere (im Anfang des 19. Jahrhunderts) hat als Geburststag seines ersten Knaben den Tag gefeiert, wo er zum erstenmal „ich“ sagen konnte. Aber der größere Philosoph sagt, wenn einmal ein Kind das Wörtlein „ich“ erlauscht habe, gehe alle seine Eigenwilligkeit an. Eben darum, weil das Gedächtnis jetzt einsetzt, präge man dem Kinde das Wörtlein „Du“ ein. Zeigt ihm, daß es nicht auf sich selbst gestellt und für sich selbst bezogen alles zu sich hinwendet und hinweist und nach sich ausmessen darf, sondern daß da und dort ein anderer ist, dem das Kind sich selbst schuldet.

 Armselige Eltern, die des Kindes Einfälle bestaunen und dann vor den Ohren und Augen des Kindes die ersten kleinen Gedanken beweihräuchern, weil sie in Ermangelung fremden Lobes in dem Kinde selbstsüchtig sich verjüngt und glorifiziert erblicken. Es ist ein Fluch, wenn ein Kind aus der Verborgenheit der „kleinen Art“ herausgezerrt wird. Die Mutter, die das Kind zu einem Gegenstand der Bewunderung aller möglichen Teilnehmenden und Uninteressierten herausputzt, hat diesem Kinde einen bitteren Dienst getan. Und der Vater, der töricht genug jeden Einfall des Kindes belächelt und weiter erzählt und sich in der Geistreichigkeit des Kindes sonnt, da es ihm in der eigenen nicht immer gelingen wollte, hat diesem Kinde gar schlimm genützt; er hat es zu einem eitlen selbstsüchtigen Wesen gemacht. Sage dem Kinde, es habe auf andere Rücksicht zu nehmen. Versprich ihm aber auch nichts, was du nicht halten kannst. Manche Eltern meinen, sie müßten ihre Kinder mit allen möglichen Herrlichkeiten anfüllen. „Wenn du groß bist, will ich dir dies und jenes geben und in den nächsten Wochen da und da hingehen mit dir und dir das und jenes zeigen.“ Das Kind erhebt nun das Wort der Autorität in ein innerstes Geheimnis. Es kommt der Tag, der Vater hat das Wort vergessen, oder ist zu halten es gar nicht mehr willens und imstande, und das Kind wird mit etlichen Worten abgespeist. Aber der Stachel des Mißtrauens ist in seine Seele gesenkt. Es kann sich nicht mehr auf seinen Vater verlassen. Aber das ist ja doch eine göttliche Gnade, daß dem Kinde die ganze elterliche Autorität als Liebstes und Höchstes erscheint. Der Vater kann alles und die Mutter, die weise, vermag alles und niemand ist so klug und schön wie Vater und Mutter. Ihr wollt den Kinderglauben nicht mit täppischer Hand zerstören, aber, ihr Eltern, zerstört ihn mit leichter. – Versprecht darum wenig und haltet das wenige! Verheißt geringes und gebt mehr als ihr verheißt! Und vor allen Dingen jetzt in der Frühzeit des Lebens laßt in das Gedächtnis des Kindes manch’ schönes, edles Bild und manch’ gutes, reines Wort fallen. –

 Wir, die wir noch zu den altmodischen Leuten zählen, glauben, daß man für das Kind das Beste wählen sollte. Die meisten Kinderbücher, die in unzähligen Auflagen in Kinderstuben herumliegen, sind für die zarte, dem Schönen zugewandte Seele Gift. Denn dadurch, daß man das Unschöne in Karikatur darstellt, lehrt man nicht die Freude am Schönen und die Liebe zu ihm, dadurch daß man Unarten des Kindes in allerlei Schreckgestalten malt, erweckt man Angst, dann Spott, aber nicht wirkliche Liebe zum Schönen. –

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die Pflege der Kindesseele. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1918, Seite 09. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_Pflege_der_Kindesseele.pdf/9&oldid=- (Version vom 8.9.2016)