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sein Gewand, gewoben von Treue und gewaschen in seinem Blute.

 Und endlich, „weil’s die größte Plage, wenn am Tage man das Licht nicht sehen kann“[1], weil es das größte Weh ist, wenn man blind durch diese farbenreiche, sonnenbeglänzte Welt hinzieht, und die größte Gefahr, wenn man durch diese an Schluchten und Abgründen so reiche Welt blind hindurchgehen muß, weil es das größte Weh ist, mit getrübtem Blick die Gaben der Welt zu schauen und mit gehemmtem Auge an tiefen Abgründen entlangzugehen, soll die Gemeinde die Augensalbe seines Wortes kaufen (V. 18). Das wolle er uns am ersten wieder schenken. Wir begehren selbst nicht das Gold des Glaubens, noch das Gewand der Gerechtigkeit, wenn uns nur die Augensalbe zuteil wird aus seiner Güte, durch deren Kraft unsere Väter immer wieder hineinsahen in diese hoffnungsvolle, aber auch abgrundtiefe Welt. Was hat unseren Vätern den nüchternen Blick gegeben, daß sie Gefahren weissagen konnten, wo andere keine sahen? Was hat wiederum unsere Väter so froh und trotzig gemacht, daß sie von Freuden sprechen konnten, wo andere nur Weh sahen? Sie hatten ihre Augen mit der Augensalbe des göttlichen Wortes bestrichen, mit der Salbe, die er seinem Volke gibt, wenn es ihn darum bittet. Das ist lutherische Art, in dieser Welt die Gnade Jesu Christi anzuerkennen und sie doch für eine viel umdrohte anzusehen. Das ist lutherische Art, in dieser Welt nicht bloß ein Jammertal zu sehen, sondern ein das Paradies und seine Herrlichkeit vorbildendes Wesen, aber auch ein das Paradies und seinen Frieden herbei sehnen lassendes Wesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Aus dem Gedicht Hüter, wird die Nacht der Sünden von Christian Friedrich Richter (1676–1711).