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Dämmerung und Nacht niedergebeugt sind, da kann der Christ rühmen: „Abend heller als der Morgen, weil mein Jesus bei mir ist.“[1] In dieser Begeisterung liegt die Kraft, darin wir sprechen können: „In dem allen überwinden wir weit um des willen, der uns geliebet hat.“ (Röm. 8, 37) Das ist dasselbe, wie wenn der Apostel Petrus spricht: „Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung!“ (1. Petri 1, 3) und wenn dann aus seinem Munde ein Lob um das andere hervorquillt, daß er jubelt von einem „unvergänglichen, unbefleckten, unverwüstlichen, unverwelklichen Erbe.“ Er hat das Welken seiner Begeisterung gesehen, er weiß genau von dem Tage, da er den Herrn im Garten Gethsemane verleugnet hat, was es um die Schwachheit der ersten Liebe sei; aber das Bleibende der ersten Liebe ist ihm teuer geworden. Hier kann man lernen, was erste Liebe ist. Das Naive, Oberflächliche, Sanguinische der ersten Liebe ist bei Petrus weggefallen. Ketten machen den Menschen nüchterner; jeden Augenblick kann man befürchten müssen, daß der Scherge eintritt, der zum Tode führt. Aber Petrus hat das Eine festgehalten: „Und ob die Sterne dieser Erde alle fliehen, sieht doch der Christ die Sterne heimwärts ziehen.“

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 Wie stehts bei uns? Haben wir überhaupt die erste Liebe erfahren? Oder sind wir Christen, weil unsere Eltern es waren, weil sie uns in die Schule geschickt haben, weil es so hergebracht ist? Sind wir evang.-lutherische Christen, weil eben zufällig unsere Eltern solche waren, die ebenso gut katholisch oder etwas anderes

  1. Vgl. Johannes Schmidlin, Singendes und spielendes Vergnügen reiner Andacht oder geistreiche Gesänge, Zürich ³1767, S. 70.