Seite:Hermann von Bezzel - Die sieben Sendschreiben.pdf/86

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Schein fügtest als Ersatz für das, was nicht da ist. Und dich hast du am meisten betrogen, indem du dich fertig wähntest, ehe du nur ernstlich anfingst. Er wolle nur immer wieder dem Gedanken bange machen, ob wir es redlich meinen, daß unsere Freundlichkeit wie unser Ernst, unsere Liebe, wie unser Zorn, unsere Strenge wie unsere Milde, unser Gebetsleben, unser gottesdienstliches Leben, unsere Heiligungsarbeit, daß uns dies alles in das Licht gerückt sein möge des Wortes: „Du glaubst zu leben, und hast den Namen, daß du lebst“, du giltst als eine berühmte Gemeinde, als eine starke Seele – „und bist tot“. Denn wo der Schein das Sein ersetzen will, ist es nicht anders, als wie wenn ein erstarrter Leichnam den oberflächlichen Beschauer so täuschen kann, daß er ihn noch für lebendig hält. Gott zertrümmere das, was ihm nicht gefällt! Er zertrümmere den reichen Fonds von Redensarten, die wir uns im Laufe der Jahre zusammengeborgt haben! Er entleere die Sprache ihres Bombastes, ihrer gemachten Art. Und er behüte uns vor der affektierten Frömmelei und vor der süßlichen Art! Er bewahre uns vor all dieser falschen Aeußerung, der das Werk fehlt! Ja, er weiß, wie schwer es ist, einander mit der Wahrheit zu dienen; aber wenn uns Gott auf unserem Lebensweg einen Menschen zur Seite gestellt hat, der uns so dienen will, dann wollen wir ihn als gute Gabe Gottes betrachten. Wahre Freundschaft einer Seele beginnt an dem Tage, da er spricht: „Du bist tot, aber ich will dich wieder auferwecken.“ Wahre Freundschaft hebt dann an, wenn er von Schein und Scheinsfolgen zuruft: „Du bist tot!“; wahre Freundschaft auf Erden besteht dann,