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ausweiten, ja wohl die Ewigkeit selbst sind, in denen ein Wort Jesu, ein Blick aus seinem heiligen Auge, eine Träne in diesem Auge furchtbarer zu ertragen ist als Bergeslast und Felsenschwere und Steingruft – dann wenn er einmal sprechen wird: Ich habe dich gesucht und du hast dich nicht finden lassen, ich habe dich gerufen und du hast nicht gehört, den ganzen Tag habe ich meine Hände nach dir ausgestreckt und du hast den ganzen Tag darüber gesonnen, wie du ihnen entrännest.

 Und obwohl der Herr eben über Jerusalem geweint und über die Bergeslast, die einmal den Vorzug erhalten soll, geklagt hat, hat er sein Erdenweh so barmherzig in die Worte gefaßt: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Zwar, daß Pilatus nicht wußte, was er tat, das glauben wir alle. „Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet“ (Joh. 18, 35). Was weiß er von der Hoffnung Israels und von seinem Heilande! Und daß des Pilatus Weib es nicht gewußt hat, das glauben wir auch. Sie hat im Traum sich geängstet und hat aus der Angst heraus ihren Mann beschworen, aber Jesum kannte sie nicht. Und daß die Kriegsknechte, die unter dem Kreuze die Würfel um sein Gewand warfen und seine Kleider unter sich teilten, stumpf wie sie waren, nicht wußten, daß zu ihren Häupten der Welt Heiland erhöht wurde, daß diese armen römischen Legionäre keine Ahnung und nicht den geringsten Begriff hatten, unter wessen Kreuz sie stünden und an wessen Tod sie die Schuld trügen, das glauben wir alle. Und daß das Volk, das nichts vom Gesetz wußte, eben sein „Hosianna“ hat verstummen lassen und sein „Kreuzige“ gerufen hat, weil es eben beweglich ist, wie die Wellen des Meeres, unbeständig in all seinem Wollen, daß dieses Volk es auch nicht gewußt hat, was es tat, will uns auch zu Sinne gehen.

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Hermann von Bezzel: Die sieben Worte Jesu am Kreuz. Müller & Fröhlich, München 1918, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_sieben_Worte_Jesu_am_Kreuz.pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)