Seite:Hermann von Bezzel - Die sieben Worte Jesu am Kreuz.pdf/17

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Erlaß! Größeres hat der Hohepriester nie beten wollen, Höheres wird er nie beten können; denn wenn er einmal Höheres verlangt, ist er nicht mehr der bittende Priester, sondern der fordernde König. So lange er aber im Priestergewande an seine Gemeinde denkt und so lange er am Kreuzesstamme erhöht an die Armut der Welt sich erinnert, betet er: „Vergib!“ und nicht einmal: vergib was sie getan haben, sondern, was sie tun.

 Noch ist er nicht gekreuzigt, noch sind seine Hände und Füße nicht durchgraben, noch hat der Hohn nicht sein Haupt erreicht und der Spott derer, die seinen Namen schalten, ihn noch nicht getroffen. Aber seine Fürbitte geht ins Vergangene, rankt sich um die Gegenwart und nimmt auch das Kommende in ihren Schutz.

 Die Fürbitte wendet sich ans Vergangene. Ach, sie hätten wohl wissen können und haben nicht gelernt, sie hätten erfahren mögen und haben es nicht versucht. Ein Leben bei Jesu verträumt ist eine schwere Schuld, aber doch nicht so schwer, daß sie nicht in die Vergebungsgnade einbezogen werden könnte.

 Und er betet für alles, was geschieht; seine Fürbitte umrankt die Gegenwart. Jetzt richten sie das Kreuz empor, jetzt ziehen sie ihn zum Kreuz hinan, jetzt schlagen sie neben ihm die zwei Uebeltäter ans Kreuz: „Vergib ihnen, was sie tun!“

 Und der Blick geht hinaus in die kommende Zeit, wo sie unter dem Kreuz höhnen und spotten und ihn dann allein lassen werden, wo sie zweifeln, ob er erstanden ist, wo sie ihre Hoffnung begraben am Grabe ihres Herrn. Denn auch die Zukunft umfaßt die Fürbitte Jesu: „Vergib!“ So gewiß wir uns aus seiner hohepriesterlichen Bitte kein Ruhekissen machen wollen, als ob wir durch die Fürbitte die Stunde der Gnade verschlafen dürften, und so

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die sieben Worte Jesu am Kreuz. Müller & Fröhlich, München 1918, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_sieben_Worte_Jesu_am_Kreuz.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)