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Zeitung eine neue Zeit beginnen soll – ist ganz einfach gesagt: Was habe ich an meinen Eltern und was haben sie an mir? Und damit ja das vierte Gebot recht verhöhnt ist, schreibt ein unreifer Junge, daß man die Eltern erziehen muß, damit sie möglichst wenig von den Kindern erwarten. Und ein Mädchen fällt alsbald in diesen Ton und schreibt, es habe sich den langen Sonntagnachmittag in der Umgebung seiner Eltern „vergreist“, wie es sich ausdrückt, es sei alt geworden in der Umgebung der Eltern, die so gar nicht auf die Stellung und den Standpunkt der heranwachsenden Tochter eingehen wollten. – Also, Kind, erziehe deine Eltern, damit sie möglichst wenig von dir erwarten und beizeiten erfahren, daß die Emanzipation von den Eltern das eigentliche Jugendglück und darum die eigentliche Aufgabe der heranwachsenden Jugend ist. Was diese Jugend freilich einmal zu erwarten und zu fordern gedenkt, wenn sie im Stande der Eltern ist und Elternwürde besitzt, das sagt dieses schauerliche Blatt nicht.

 Also, wenn deswegen Vater und Mutter geehrt werden sollen, weil sie die Urheber unseres Lebens sind, so wäre das eine vollkommen falsche, auch unbiblische und unchristliche Auffassung; denn sie sind doch nur die Werkzeuge in der Hand eines Höheren, der Eltern Kindersegen geben oder versagen kann; sie sind nur Mittel in der Hand dessen, der Leben und volles Genüge schenkt. Im Gegenteil, diese rein natürliche Anschauung der Dinge hebt das vierte Gebot geradezu auf.

 Oder sollen wir deswegen Vater und Mutter ehren, weil sie so viel an uns getan haben? Die schlaflosen Nächte der Mütter, deren jede ihr Leben an das Kind und an das Leben des Kindes gewagt und gesetzt hat, die schweren, harten Stunden, welche dem neuen Menschenleben vorangegangen und welche es begleiten; die Sorgen des Vaters, die rechnende, zählende, fürsorgende Art seiner Treue –