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und größeren Versprechungen das Kind an sich zu ziehen und das Pfand, das Gott beiden, damit sie einig werden und bleiben, geschenkt hat, wird zum Streitgegenstand und die meisten Ehen werden durch die Erziehung der Kinder zertrümmert. Es ist etwas sehr Törichtes, wenn die Mutter dem Kinde den Wunsch nicht versagen und der Vater den Willen nicht brechen kann. Es ist aber noch gefährlicher, wenn die Mutter das Kind vor dem Vater verbirgt. Unsere Väter wollen meistens, wenn sie müde von der Tagesarbeit, von der Tageszerstreuung heimkehren, nichts Unangenehmes mehr vernehmen. Und da die Mütter meistens Leute sind, die dem Unangenehmen aus dem Wege gehen und das kleine Wölklein gerne vermeiden, damit um so schwerere, mächtigere Wolken später aufsteigen, so verschweigen sie die Unarten der Kinder, statt daß Vater und Mutter gemeinsam über die Unarten weinen und zueinander sagen: Meister, hast du nicht guten Samen auf dies Ackerfeld gestreut? Woher hat er denn das Unkraut? Statt dessen wird das Unkraut mit törichter Hand verdeckt, mit oberflächlicher Hand obenher ausgerissen, damit keine unangenehme Szene erfolgt. Und das Kind weiß das, weiß, daß es das Objekt der Heimlichkeit ist und lernt, von der Mutter belogen, die Mutter belügen. Das Kind merkt, daß die Mutter verschweigt und zudeckt um des Friedens willen und über ein kleines bedarf es die Mutter nicht mehr zum Verschweigen, sondern es verschweigt selbst und die erste Heimlichkeit, die die Mutter vor dem Kinde oder durch das Kind vor dem Vater hatte, wird der Anfang einer ganzen Kette von Verheimlichungen. Das Kind merkt, daß Vater und Mutter nicht miteinander arbeiten, noch für einander stehen, sondern nebeneinander bleiben und daß die Ehe nichts anderes ist, als eine Gelegenheit sich möglichst viel Annehmlichkeiten und möglichst viel Rechte zuzusprechen und sich recht wenig Pflichten und Entsagungen aufzuerlegen.