Seite:Hermann von Bezzel - Die zehn Gebote.pdf/120

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Seht, und wenn das Kind nun älter wird, so wendet es sich gegen die Mutter und wendet sich, gleichsam um eine neue Probe auf sein Existenzrecht zu erheben, dem Vater zu. Es ist auffallend, daß in den meisten Ehen das heranwachsende Kind der Mutter entfremdet wird. Es ist der Mutter, die es verwöhnte, überdrüssig geworden und versucht es nun bei dem Vater. Wie viele Mütter haben schon geklagt: seit mein Kind konfirmiert ist, kennt es mich nicht mehr. Ich habe ihm nichts mehr zu sagen, ich kann ihm nichts mehr bieten, es weicht mir aus, es entfremdet sich mir und wird mir fremd und hängt an meinem Mann. Das ist deiner Torheit Schuld, daß du so gestäupet wirst und daß dein Liebstes deine Last wird. Das ist deines Fehlers Rache, daß das abgöttisch geliebte und verzogene Kind, dein Abgott, nun zum Ballast für dich wird, der dich herunterzieht und dir den Tag, da du das Kind begrüßtest, zum schwersten macht. Und nun wirbt der Vater um die Liebe des Kindes und erfüllt auch seine Forderungen und steckt ihm heimlich allerlei zu und läßt es gewähren. Und das Kind kennt bald die schwachen Seiten des Vaters, geht ihm nach und umschmeichelt ihn, weicht ihm aus, wenn er schlechter Laune, eilt ihm froh entgegen, wenn er wohlgestimmt ist. So wird, was zur heiligen Einfalt vorgebildet ist, ein berechnendes, unheimlich wägendes Wesen, das der reinen Einfalt entbehrt. Darum spricht unser heiliger Gott: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren! und ruft es Vater und Mutter ins Gedächtnis, daß sie beide besondere und insgesamt dieselben Pflichten haben, daß nicht ein „Mehr oder Weniger“ in der Erziehung sein darf.

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 Ach, wenn hier unter den Anwesenden Eltern sind, Mütter, denen die Erziehung ihrer Kinder, oder vielleicht auch ihrer Enkel, am Herzen liegt, so sind sie herzlich gebeten, über alles darauf zu sehen, daß eine Gleichheitlichkeit dem Kinde Vater und Mutter groß und wert erscheinen