Seite:Hermann von Bezzel - Die zehn Gebote.pdf/129

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 Und zur Erziehung durch den Sinn kommt die Erziehung durch das Wort. Liebe Christen! Es gibt eine doppelte Erziehung – eine zu harte und eine zu weiche. Vordem hat man über zu harte Erziehung geklagt. Ein Luther weiß, wie ihn seine Mutter um einer Nuß willen bis aufs Blut gestäupet hat und erzählt noch in seinen alten Tagen, wie er sich vor der Stimme seines Vaters gefürchtet habe. Wohl manch eines unter uns weiß auch von einer harten Jugend zu erzählen. Ein Erzieher, der nicht übersehen kann, hat das Recht zu erziehen verwirkt. Luther sagt einmal: Wer nicht durch die Finger sehen kann, ist kein Regierer. Manche Eltern meinen, sie müssen alles bereden, jede Miene des Kindes, jeden Blick des Kindes, jeden Zug seines Antlitzes und jede Bewegung seiner Hand und dann beginnt das endlose Predigen an das Kind; sie meinen bei dem leisesten Unrecht dem Kinde die schwersten Strafen vor Augen stellen zu müssen. Wenn aber bei kleinem Unrecht schon schwere Strafen angedroht werden, wie soll es dann bei großen werden? Wenn du dem Kinde, das sich nicht wohl hält bei Tisch oder beim Spiel, schon schwere Strafen ansagst, welche Strafe wirst du ihm wohl auferlegen, wenn es lügt? Das ist zu harte Erziehung, daß man dem Kinde nicht die Freude gönnt und so die Erinnerung an die lichteste Zeit des Lebens, an die Jugendzeit, geflissentlich erschwert und verfinstert und vergällt. Es ist eine Gnade Gottes, die ich oft mit heiliger Bewunderung bemerkt habe, daß selten ein Mensch so gesunken ist, daß ihm nicht auch die schwerste Jugend, wenn sie einmal hinterlegt, im hellen Sonnenschein daläge. Wie manchmal habe ich mit armen Gefallenen über ihre Jugendzeit geredet, die ich kannte, und mußte fürchten, daß sie über diese Jugendzeit das schwerste Urteil fällen und ihre Jugend als die Ursache ihres jetzigen Standes bezeichnen werden; statt dessen hörte ich Dank für das Gold, mit dem Gott