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Das nenne ich harte Erziehung mit dem Worte: Drohen, unrechte Versprechungen, falsche Gebilde vorzeichnen, nachrechnen, nachtragen.

 Doch vor diesem Fehler braucht man jetzt nicht mehr zu warnen. Während früher die Kinder um die Liebe der Eltern warben und ein Lächeln der Mutter verdient sein mußte, ist’s jetzt an dem, daß die Eltern ängstlich auf die Miene ihrer heranwachsenden Tochter sehen, ob sie auch gütig gesonnen und freundlich gelaunt ist. Und die Väter werfen sich weg an ihre unreifen Jungen und die Mütter verlieren ihre Ehre, indem sie um die Liebe ihrer unerzogenen Töchter buhlen, und so wird die Erziehung eine allzu schwache. Oder ist’s nicht an dem, daß den Kindern heutzutage kein Wunsch mehr abgeschlagen werden darf? Die Mutter darbt, damit das Kind einen Fingerring tragen kann; der Vater kümmert sich ab, damit der Sohn ein neues Gewand hat, wie er es begehrt, und damit der Sohn Vergnügungen mitmachen kann, die seine Altersgenossen auch haben, die in besseren Verhältnissen sind. Ihr seht es ja allenthalben, wie unserer Jugend nichts mehr verwehrt und versagt sein soll. Hier gebietet der Vater, und statt daß das Kind alsbald und ohne „warum“ zu fragen gehorcht, läßt sich der Knabe auf einen Vergleich mit dem Vater ein und dieser geht mit lächelnder Miene aus solche Anschauungen und Torheiten seines Kindes ein. Der Vater sagt: „Jetzt!“ und das Kind spricht: „Gleich!“ und aus dem Gleich werden Stunden und niemand achtet, welch eine Sünde in dieser Säumigkeit liegt.

 Die Mutter will dem Kinde nichts mehr gewähren und das Kind bittet um ein Stücklein und um noch eines und bettelt es der Schwachheit der Mutter ab. Und die Mutter freut sich noch, so Gelegenheit gefunden zu haben, dem Kinde näher zu kommen und weiß nicht, daß sie zur Mörderin am Willen und an der Seele ihres Kindes ward.