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verblaßt. Da ist es dann das Gebet, das wieder die rechte Stellung zu den Eltern finden läßt. Da ist es die Flucht ins Heiligtum, daß uns Gott wieder die Augen öffne und den Blick schärfe für die verborgene Herrlichkeit elterlichen Lebens und Liebens. Und in späteren Jahren, wenn man selbst herangewachsen ist und weiß, welche Kämpfe schlecht geführt und welche Niederlagen des Lebens Recht bedingen, wird man wieder milder auch in der Beurteilung seiner geliebten Eltern und die Pietät kommt zu ihrem Rechte. Bei den Athenern war eine hohe, ernste Sitte so bedeutsam, daß sich Christen nicht schämen müßten, sie zu üben: wenn einer zu einem öffentlichen Amte gewählt werden sollte, so gingen die Wähler Tags vorher an das Grab seiner Eltern und wenn das Grab nicht gepflegt und geordnet war, haben sie diesem Mann ihre Stimme entzogen; denn seine Wahl wäre unheilvoll und dem Gesetze nicht genügend gewesen. Sie sagten: wie kann der einem Gemeinwesen rechte Dienste tun, der nicht einmal für seine eigenen Eltern Pietät hat? Und wenn wir durch unsere Gottesäcker gehen und sehen die verfallenen Gräber der Geistlichen und werden inne, wie Männer, die ihre Lebenskraft und ihr Lebensglück an eine Gemeinde setzten, vergessen wurden; wenn wir sehen, wie viele Kinder die Gräber ihrer Eltern ohne rechte Pflege lassen, müssen wir sagen: das ist entweder übergeistlich, wo man die Pflege und Pflichten gegen Vergangenes und dem Tode Verfallenes überhaupt nicht mehr kennt, oder – was wahrscheinlicher ist – das ist ungeistlich und unfromm.

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 Pflege der Pietät! Es ist etwas Furchtbares in dem Worte, das einmal Luther in seinen Tischreden erläutert, daß leichter ein Vater sieben Kinder ernähren kann, als sieben Kinder einen Vater. Und wer etwas in dem britischen Dichter zu Hause ist, wird mich verstehen, wenn ich auf das Beispiel des wahnsinnigen Königs Lear auf der Heide