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regiert. Du kannst das schärfste Wort sagen – es tut weh – und die Seele deines Nächsten genest. Und du kannst ein milderes Wort sagen mit scharfem Ton und Art – und die Seele deines Nächsten blutet darunter und sein Leib wird verletzt und versehrt.

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 „An seinem Leibe kein Leid tun.“ Aber nicht bloß durchs eigene Wort können wir ihm Leid zufügen, sondern auch dadurch, daß wir das böse Wort anderer dulden. Du hörst ein hartes Urteil über deinen Bruder fällen; horchst mit Behagen zu, wie in deines Bruders Herz ein Haken um den andern getrieben wird und schweigst. Du erhebst nicht selbst die Brandfackel, aber du siehst mit innerlicher Genugtuung, wie ein Feuerbrand um den andern in das Leben deines Nächsten fällt. Du liest vielleicht einen Brief mit einem scharfen Urteil über deinen Nächsten und, statt daß du beim Lesen bitten möchtest: ach daß es nicht so wäre, anders sein möge! sagst du zu dir selbst: das habe ich stets geglaubt und so habe ich immer gedacht. Und dieses Urteil macht deinen Nächsten zum Mörder seines Bruders und dich mitschuldig daran. Wenn wir nur einmal die Zungensünden von dem treuen Gott auf eine große Menge gesammelt sähen und ihre Opfer daneben, wie würden wir erschrecken und Buße tun! Wenn aus den Gräbern die heraufsteigen würden, denen wir im armen Leben bitter unrecht und weh getan haben; wenn die Toten kämen, um uns zu verklagen, weil wir sie mißverstehen wollten; wenn unsere Umgebung auf uns eindränge und sagte: siehe, wie hast du mir das Leben abgesprochen, wie hast du mein ganzes Wesen belastet und beeinträchtigt, wie hast du mir die Zukunft verbittert und immer wieder nach dem Regen Wolken aufziehen lassen, wie finster war es bei dir, wie lieblos war es in dir und wie kühl war es um dich, wie hat es mich immer gefroren, wenn du zu mir redetest! Siehe, wir würden dann wohl milder und linder