Seite:Hermann von Bezzel - Die zehn Gebote.pdf/202

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Verschönerung einführen wollen; und wenn sie in solcher Phantasie träumen, sich verlieren, wehrt es ihnen nicht! Es ist eine göttliche Gabe. Und wenn wir mitten im Drange der Arbeit, die wenig von Phantasie an sich haben darf und soll, uns zuweilen sehnen, daß diese freundliche Gabe Gottes uns besuche und uns teuere Erinnerungen, liebe Bilder, selige Erfahrungen wiederbringe, ist es ein heiliges Sehnen. Aber welche Gottesgabe kann nicht verunehrt und geschädigt werden! Darum heiliget euere Phantasie! Wenn nun unreine Bilder, die man oft verscheuchen möchte und sie wollen nicht weichen; wenn Erinnerungen in das Gebet sich eindrängen, die man ferne halten muß; wenn all der Unrat, den man täglich auf sich wirken lassen muß, all das Schwere, das man im Berufe erlebt, all die bitteren Dinge, die aus pflichtmäßiger Lektüre vielleicht sich aufgesammelt haben, wenn das alles einmal von dem Wirbelwind der Phantasie zu heißer Glut entfacht wird und plötzlich das, was wir hassen, in reizvollem Lichte, und das, was wir verabscheuen, in zauberhaftem Gewande vor uns steht, was sollen wir dann tun? Wenn unsere Jugend sinnt und träumt und das trübe Auge verrät, welch heimliches Feuer in dem Herzen lodert, und der suchende Blick zeigt, welch schwere Gedanken das Auge regieren, wie soll man dann frei werden? Wenn manchmal unsere heranwachsenden Jünglinge und Jungfrauen diese zersetzenden, vergiftenden Romane lesen, in denen die wilde Lust zur Flamme angefacht wird, und ihnen nun mit fieberhafter Hast eine Welt vorgezaubert wird, die so schön scheint und so trüb ist, die soviel Leben verheißt und soviel Moder und Grab und Tod in sich birgt; was sollen wir dann tun? Heiliget euere Einbildungskraft, daß sie euch in euerer letzten Stunde das Bild des Mannes am Kreuze, eueres einzigen Freundes, nicht verdränge, damit kein anderes Bild euch das Heilandsbild vor euerem brechenden Auge in die Flucht schlage!