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würdig erzeigst? Aber die Ehre ist dem Menschen notwendig, sonst stirbt er bei lebendigem Leibe. Ein Leben ohne Ehre ist ein Leben voll Lüge. Ein Mann, der seine Mannesehre preisgibt, hört zwar nicht auf Mensch zu sein, aber er ist nicht mehr Mann, kann nicht mehr als solcher gelten und kann sich nicht mehr zur Geltung bringen. Wer mit seiner Frauenehre spielen läßt, hört nicht auf Mensch zu sein, aber die weibliche Würde und die Zartheit ist solch einem armen Menschenkinde genommen und es betört sich, wenn es in Ehren zu sein glaubt. Weil wir die Ehre notwendig gebrauchen, weil jeder Mensch ein Räumlein haben muß, in dem und durch das er etwas gilt, muß es uns furchtbar ans Herz greifen, wenn man uns unsere Ehre anrührt. Alles kann ein Mensch lassen: Gut, Freundschaft, Leben, Glück, aber seine Ehre darf er sich nicht nehmen lassen, auch vor Gott nicht, denn er hat sonst seinen Beruf verfehlt und seines Schöpfers und Königs vergessen. Wie wird die Ehre des Menschen so leicht angetastet und wie oft versetzten und verwunden wir, die wir so empfindlich sind, die fremde Ehre! Wie schnell sind wir mit einem Urteil zur Hand, das, wenn es wahr ist, nicht freundlich, und wenn es freundlich ist, nicht wahr ist! Wie eilen wir mit unserer Kritik, deren letzter Ausgang nicht das Lob der Nächstenehre ist! Du sprichst irgend ein Wort aus gegen deinen Nebenmenschen, das falsche Vorstellungen erweckt und denkst nicht daran, daß du deinen Nächsten um das Ansehen bei den andern gebracht hast. Während du bei dir selbst so empfindlich und zartfühlend bist und viele erklärende Gründe für dich findest, magst du bei dem Nächsten das Entschuldbare nicht einmal andeuten. Du kannst für das Verhalten deines Nächsten selten einen Milderungsgrund angeben und bemühst dich, ihn in möglichst dunklem Licht erscheinen zu lassen.

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 Es wird wohl gut sein, wenn wir, ehe wir auf die Auslegung des achten Gebotes eingehen, über die Zungensünden