Seite:Hermann von Bezzel - Die zehn Gebote.pdf/246

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Rolle spielen, die dir nicht zusteht? Du hast dein Antlitz innerlich geschminkt, du hast dein Wesen äußerlich verschönt, Worte dir zugelegt, die deiner Erziehung, dem Grade deiner Bildung nicht recht passen; du willst etwas scheinen und bist es nicht. Diese Ehrgeizlüge, daß z. B. ein Mensch sich seiner armen Eltern schämt, seiner Heimat sich weigert, von hohen Verwandten redet, die er gar nicht besitzt, die nur in seiner kranken Einbildungskraft bestehen, diese Ehrgeizlüge, wo jemand zuerst sich selber um die Ehre des echten Seins gebracht hat, um dann andere mit seinem Schein zu blenden, hat etwas furchtbar Gefährliches. Manche Menschen spielen Rollen ihr Leben lang, bis der große Meister, der die Masken von dem Antlitz reißt und das Narrengewand vom Leibe, erscheint und mit höhnendem Lachen sagt: nun sind alle deine Anschläge verloren! Wer Seelsorge geübt hat weiß, was es für ein furchtbares Weh, Jammer, Herzeleid und Arbeit ist, einen Menschen, der aus Ehrgeiz lügt, seiner Sünde zu überführen. Jede Miene ist berechnet, jedes Wort wohlgesetzt, jeder Blick gekünstelt, jede Bewegung unecht, und so geht ein armer Mensch durch die Welt des Scheines, die ihm schließlich zur Gewohnheit geworden und die Wirklichkeit zu werden verheißen hat, und er stirbt durch diesen Schein, den er liebte, in Wahrheit aber litt. Betet ihr darum: Prüfe und erfahre, wie ich es meine? Denkt ihr daran, daß der Herr euer Herz erforsche, ob ihr auf bösem Wege seid? Oder woran tragt ihr schwerer, daran, daß man euch für schlechter hält, als ihr seid, oder daran, daß man euch für besser hält, als ihr es verdient? Das ist eine große Gewissensfrage. Ach, glaubt es einem Manne, der an diesem Leiden viel erfahren und getragen hat: nichts ist schwerer, als wenn man durch eigene Schuld für besser gehalten wird, denn man ist. Wenn dich die Menschen schlechter einschätzen, als dich dein Herr und Gott kennt, dann tröste dich: „Ist Gott dein Freund