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Wenn man gewußt hätte, in welcher Lage ich mich damals befand, so hätte man anders über mich geurteilt, sagt man. Und dein Nächster, der vielleicht in viel schwierigeren Verhältnissen war, wird von dir so hart verworfen. Du nimmst ihm seine Ehre und begräbst mit deiner Lüge sein Leben. Und du verrätst ihn. Unsere Kirche lehrt brüderliche Zurechtweisung. Wenn du von deinem Nächsten etwas Heimliches weißt, und es drückt dir das Herz ab, dann gehe zu ihm und sage es ihm unter vier Augen! Und erst wenn er dich dann nicht hört, sage es anderen, sage es auch der Gemeinde, wenn es ihm nützt! Aber es ist ja nicht um den Nutzen an der Seele deines Bruders, sondern um die Freude des Schadens in deiner Seele zu tun. Du willst deinen Bruder nicht bessern, aber dein Herz willst du an seinem Unrecht weiden. Du willst ihn nicht ändern, daß er frömmer wird, aber an seiner Nacht willst du dein Licht entzünden.

 Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen oder, wie es im Lateinischen heißt, ihn nicht in der Leute Mund herumziehen. Es mag vielleicht ursprünglich gar nicht böse gemeint sein; es ist vielleicht das Verlangen, etwas neues zu bringen, aber im tiefsten Grunde ist es doch Mangel am Gebete: vergib mir meine Schuld, wie ich vergebe meinen Schuldigern! Wenn wir so den Namen, die Ehre, oder auch die Unehre und den unguten Namen des Nächsten herumziehen, fehlt es am Gebet.

 Wenn einmal Gott eine einzige Woche unserer Tagesunterhaltung uns vorlesen wird in der Ewigkeit, wenn Er eine einzige unserer Abendunterhaltungen uns einst vor die Seele bringt, wieviel Todschläge mit der Zunge, wieviel Todesverletzungen mit dem Worte, wieviel Vergiftungen des Lebens mit dem Herzen! Wenn Du willst Sünde zurechnen, Herr wer wird bestehen? Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsers Nächsten Ehre und Name nicht