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auch leben! Tod wo sind nun deine Schrecken? Seht, das ist es, was wir euch raten in dieser Stunde, daß ihr in den Nöten des Todes, in den Schrecken, wenn ihr euch selbst begrabt, zu dem hinflüchtet, der dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht hat, und daß ihr den Saum des Gewandes eures Lebensfürsten anrührt: sprich zu meiner Seele: Ich bin dein Jesu, deine Hilfe, dein Trost und Erretter.

 Und zu der Not der Ungewißheit und der Not der Gewißheit: die Not der Alltäglichkeit! Der Alltäglichkeit, die wir an jedem Morgen als neu erblicken, obwohl wir wissen, daß sie am Abend genau so niederdrückend ist: immer noch auf Erden, immer noch in Sünden, der gute Vorsatz des Frühgebetes nach zehn Minuten vom Feinde höhnend zerpflückt, der Anlauf zur Heiligung nach wenigen Stunden von dem Todfeind meiner Seligkeit lächelnd aufgehalten! Und jeder Tag mit derselben schauerlichen Rechnung: früh eine Summe von Versprechungen und am Abend der keines gehalten! In der Angst, daß Er einmal meine Versprechungen gar nicht mehr hören, dagegen meine Meineide wägen und zählen werde, in der allerschwersten Anfechtung, daß Er meiner vergessen müsse, weil ich sein so oft vergessen habe, rufe ich zu ihm, „denn bei Dir ist die Gnade und viel Erlösung bei Dir.“

 Jeder der 365 Tage hat es mir bezeugt, bekräftigt, versiegelt, wie gnädig der Herr ist; so rufe ich in der schweren Not, daß ich mir selber allzu treu bleibe und nicht anders werde, zu Dir: wende Du mich, bekehre Du mich, ich gebe mich Dir ganz zu eigen; hier ist mein Wille, zerbrich ihn, zermalme ihn, verwirf ihn, nimm ihn, wenn es sein soll, aber verwirf mich nicht! Hier ist mein Weg, verzäune ihn, verbaue ihn, verkürze ihn, aber laß ihn nicht im Abgrund enden! Hier ist mein Wesen, nimm alles was lebenswert an ihm scheint, mache mich zu einem Deiner Tagelöhner,