Seite:Hermann von Bezzel - Die zehn Gebote.pdf/77

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„Nun aber,“ spricht der, der von des Vaters Ruhe den herrlichsten Begriff hat, „nun aber sind eure Haare auf dem Haupte alle gezählet.“ „Denn mein Vater wirket bis hieher.“ Und dieses Wirken Gottes in der Welt ist deines Lebens Trost und Teil und deiner Seele Ruhe. Aber so wenig Gott tatenlos ist, so wenig wird auch unsere Seligkeit Ruhe sein. Zwar die Seligkeit unmittelbar nach dem Tode ist Ruhe: Selig sind die Toten usw. Darum ist eben der Zustand des Christen nach dem Tode noch unvollendet, eine Halbheit, etwas Unfertiges und Unabgeschlossenes. Und wenn ihr euere Toten selig preist, so habt ihr nicht ganz die Wahrheit gesprochen; denn diese Ruhe des Leibes in der Erde und der Seele im Frieden Gottes ist zwar ein seliges Los, aber noch nicht das Los der Seligen. Das Los der Seligen besteht darin, daß Leib und Seele sich freuen in dem lebendigen Gott, daß sie für Gott arbeiten, daß sie mit einem Worte Geschichte haben. Unsere Gestorbenen haben keine Geschichte; ihre Vergangenheit ist vorüber, ihre Gegenwart ist tatenlos und die Zukunft ist ihnen noch verschlossen. Geschichte beginnt erst wieder, wenn sie handeln können, und handeln können sie erst wieder, wenn sie des Leibes mächtig sind. Erst, wenn die Seele, ich möchte sagen, in stiller Erinnerung die Summe der Arbeitslust sich wieder gesammelt hat, schenkt der Herr ihr auch den Leib zur Arbeitstat. Erst wenn alle Tränen von den Augen abgewischt und alle Sünden in der Stunde des Todes vergeben sind und alle Missetat bedecket und die Seele unter Jesu Kreuze zur Ruhe gekommen ist, erst dann hebt der Sabbat an, der zu seiner Höhe kommt, wenn die Seele ihres Leibes teilhaftig wird. Jetzt drückt der Leib auf die Seele und die Seele beschwert den Leib. Jetzt wird durch Haß und Neid, durch Eifersucht und Bitternis, durch Schärfe des Urteils, durch unstete Wünsche, die von der Seele herkommen, unser Leib schwer gedrückt, wir