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ich Leute, von denen ich weiß, daß sie sehr viele freie Zeit haben, regelmäßig nach dem Glaubensbekenntnis kommen sehe mit dem Rechte der Selbstverständlichkeit. Es ist mir immer ein beschämendes und betrübendes Weh, nicht, wenn eine abgejagte und vielgemühte Hausfrau zu spät kommt, sondern wenn die Leute, die oft nicht wissen, wie sie ihre freie Zeit benützen sollen, ihrem Gott zuliebe nicht einige Minuten eher von zu Hause weggehen mögen. Wer sich um diese Gemeinschaftspflege betrügt, der wundere sich nicht, wenn er immer mehr allein ist. Und die vielen Einsamen in Stadt und Land, die vielen verkümmerten und verbitterten Existenzen, die wir gerade beim weiblichen Geschlecht so häufig finden, haben nicht selten ihren Grund darin, daß sie nicht gottesdienstliche Gemeinschaft pflegen.

 Die Predigt nun ist der Mittelpunkt des lutherischen Gottesdienstes; auch in ihr preist die Gemeinde Gott, sie gibt und nimmt: ihm den Dank, sich die Kraft; bei ihrer Anhörung und in ihr erquickt sie sich, wie der Apostel schreibt.

 Liebe Christen! Heutzutage wird die Predigt meist nach sehr äußerlichen Kennzeichen beurteilt: ob sie geistreich ist, ob sie viele Zitate bringt, ob sie den Leuten gefällt und vor allem ob sie nicht zu dogmatisch ist. Die meisten scheinen vom Prediger eine Art geistlicher Wochenübersicht zu erwarten; Leitartikel, die man die Tage vorher in der Presse las, wünscht man im geistlichen Gewande mit feinen Worten wohl am Sonntag von der Kanzel zu hören. Wenn ihr wüßtet, wie man sich sehnt, am Sonntag von dem Gerede der Woche, von den Gerüchten der Woche und von den Gerüchen der Woche verschont zu bleiben! Wenn ihr es wüßtet, wie man sich sehnt, an den lauteren Quellen des göttlichen Wortes zu trinken als ein Mühseliger und Beladener und nichts zu vernehmen, als: So spricht der Herr! Wir, die wir noch zur alten Schule gehören und wenn Gott Gnade gibt, auch zur alten Schule gehören wollen, bis sie