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Geistlichen aus der Ferne erhalten. Er schrieb und fragte, ob ich es gewesen wäre, der die Predigten des seligen Pfarrers Löhe herausgegeben und bevorwortet hätte. Ich leugnete dies nicht, hatte auch keinen Grund hiezu. Der Geistliche schrieb weiter: Diese Predigten haben mich gerettet. – Seht, es gibt solch herrliche Predigten unserer Väter, eines Löhe und eines Ahlfeld, eines Kapff und eines Petri, es gibt so viel treffliche Predigten unserer Alten, daß es nicht nottut, Predigten zu lesen, in denen sehr viel Schönes, sehr viel Geistreiches, sehr Glänzendes, Interessantes und Lichtes steht, in denen aber nicht der Name, der über alle Namen ist, leuchtet, der unser armes Leben tröstet, Heil und ewige Seligkeit uns bringt. Ich weiß wohl, daß diese neue Art zu predigen, in der die Sünde nicht mehr in ihrer ganzen Schrecklichkeit und die Gnade nicht mehr in ihrer ganzen Herrlichkeit dargestellt wird, viele, viele dankbare Hörer hat. Aber ich würde nie zu meiner Erquickung eine Predigt lesen, die mich interessiert, aber die mich frömmer zu machen nicht imstande ist.

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 So könnt ihr euren Sonntag feiern. Eines habe ich geflissentlich noch ferne gehalten: warum lest ihr so wenig in eurem Gesangbuch? Es ist ganz betrüblich, wie wenige Lieder in der Hauptstadt gesungen werden. An Weihnachten habe ich in verschiedenen Gottesdiensten viermal das Lied singen müssen: „Jauchzet, ihr Himmel usw.“ Als ob es keine anderen Weihnachtslieder mehr gäbe. Warum sind wir so stumm geworden? Warum so wenig Choräle? Warum so wenig Melodien? Warum so viel von dem guten, aber wenig erquickenden Gellert? Ihr liebt euer Gesangbuch nicht genug, ihr lest zu wenig in ihm! Und ihr lernt auch zu wenig aus ihm. Denn das ist auch eine Verachtung der Predigt, wenn man nicht lernt. Ein Mann, der nie ein schwarzes Gewand trug, der große Geschichtsschreiber Treitschke, sagt einmal: Wenn man das Gedächtnis