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in besonderer Weise verordnet hat, die Er in diese Verhältnisse geführt und der Er jene Verhältnisse ferne gehalten hat, um die er sich als eine individuelle müht und ängstigt; es ist die Seele, welcher der Herr auf einem ganz andern Weg wieder, freilich als derselbe Heiland entgegentreten will als einer andern, und darum – habt Respekt vor der Seele!

 Zum zweiten. Siehe, der Säemann wartet und ist geduldig, bis er empfahe den Frühlingsregen und den Spätherbstregen. Auf die eine Seele kommt, wenn etwas Neues an sie herantritt, gleich dieser Gnadenregen der Begeisterung, auf eine andere dringt er erst ein am Abend. Freilich ohne Begeisterung kann ein Mensch zum Frieden nicht gelangen; denn die Begeisterung ist ein Kind des heiligen Geistes, und eine Vorahnung der Begeisterung, deren wir uns in der Heimat getrösten, die Begeisterung ist wiederum der Pfad, der die Seele heimwärts zu ihrem Herrn geleitet. Noch einmal sei es gesagt, die richtige Seelsorge wartet und betet. Das Dringen auf Bekehrung, das Hereinquälen von Erfahrungen, die man unter obwaltenden Verhältnissen gar nicht gemacht haben kann, die Imagination von allerlei Erlebnissen, die auf der Linie bisheriger Entwicklung gar nicht verzeichnet werden können, töten die Originalität des Christenlebens und legen die Begeisterung lahm, ohne welche niemand den Herrn schauen kann. Man kann nicht oft genug sagen: besser keine Seelsorge als die treiberische, als diejenige, welche ganze Stadien der Entwicklung einfach ausreißt, wegtut, verdrängt und an den Anfang langsamen Werdens und folgerichtiger Entwicklung bereits den Ausgang zu setzen beliebt. Es mag sein, daß Treibhauspflanzen viele Monate vorher als die Pflanze, die den normalen Weg des Werdens geht, blühen und duften. Ich bin der letzte, der der Blüte dann die Echtheit abspricht; aber sehen wir zu, wie lange sie vorhält, und fragen wir uns, ob nicht in allem Treibhausmäßigen ein Eingriff in die Gesetze göttlicher Entwicklung liegen mag.

 Habt Respekt vor der Seele! Das war das Erste. Warte auf die Entwicklung der Seele! Das ist das Zweite. Und hoffe, daß der Herr noch Begeisterung schickt! Denn das müssen wir uns alle sagen: begeisterungsloses Christentum ist schlimmer als der Abfall. Ich meine, die Knechte, die am Abend von der ganzen Weinbergsarbeit nichts anderes zu sagen hatten als: „Wir haben des Tages Last und Hitze getragen“, sind ihnen selber nicht zum Gewinn und dem Weinberg kaum zum Heil gewesen. Ach, weil gerade im Diakonissentum Nerven der Christusnachfolge besonders – ich sage nicht zarter Art – sondern besonders spürbarer Art zusammenfallen, weil im