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I.

 „Friede sei mit Dir!“ Wie unbedeutend und vielverbraucht klingt dieser Gruß! Man hat ihn viel tausendmal vernommen und gelesen und seiner nicht geachtet. Aber das fällt nicht ihm zur Last, als ob er erschöpft wäre und seine Kraft nicht mehr weite reichte, sondern denen, die ihn unterschätzen. Wer sieht es der Perle an, wieviel Mühe es gekostet hat, bis aus Meeresgründen mit Darangabe des eigenen Lebens der Taucher sie hervorgeholt hat? Ihr gleichmäßig stiller Glanz verrät nicht die an sie gewandte Mühe und Sorge. Wer denkt, wenn alljährlich die Friedensglocken durch die Lande läuten, an die schlaflosen Nächte und sorgenvollen Tage, an die Kämpfe und Kriege, an die mit dem teuersten Blute gefärbten Gefilde des Todes, aus denen als Segenssaat der Friede ersproß? – Da steigt aus den ewigen Höhen ungestörter Harmonie, aus dem Einssein mit dem ewig schönen und wahren Gott, als Fremdling Einer auf Erden nieder, um sein ganzes Wesen und dessen Wert, seine ganze Größe und deren Treue in dem Friedenswunsch darzureichen. Tausende sind vor ihm durch das jüdische Land gezogen und haben den landesüblichen Gruß dargeboten, aber bei ihm war der Wunsch Tat und die Gabe wesenhaft, er schenkte, was er wünschte, und tat, was er verhieß. Die ihn aufnahmen, empfingen Gewalt, mitten im Streit des Lebens Frieden zu haben und zu halten. Damit aber die Fülle des Friedens in ihrer Gottvölligkeit erscheine, wagte er sich, ohne seiner zu achten, in die Friedlosigkeit der Angst und in die Nacht der Enterbtheit, schied sich von dem Urquell seines Lebens, ward von seinem Vater verlassen, litt Schmach für Ehre, Not für Kraft, Armut für Besitz. An seinem stillen Grabe, im einsamen Garten, an dem die Schmähung verstummte und nur die Liebe wohnte, blühte die große, selige Gabe des Friedens auf, und der dem Tode Entnommene und aus der Hölle der Friedlosigkeit Entronnene schenkte seinen Frieden, den erkämpften, erprobten und erfahrenen. Mit dem weltunbekannten Fischer am See Genezareth, mit dem armen Zöllner vor den Toren einer Kleinstadt, mit dem großen Denker bekennen alle, die seine Erscheinung lieb haben: Er ist unser Friede. Daß nur aus Kampf Friede erwächst und nur aus Streit die wahre Stille kommt, ist fortan so gewiß, wie die Tatsache, daß die Heimat nur in der Fremde erworben und die Gottesnähe nur aus der Gottesferne geschenkt wird.

 Was aber aus dem Kampf geboren ist, ruft in den Kampf. Teure Gemeinde, es ist zunächst ein Kampf der Sorge mit der Pflicht, in den Du heute Dich begibst. Zu Deinen mannigfachen Leistungen hast Du eine neue, nicht unbeträchtliche auf Dich genommen. Es ist jetzt vergeblich zu fragen, ob die Last so groß werden mußte, sie ist da und will und soll getragen sein. In den Widerstreit von Fragen und Sorgen, von Bedenklichkeiten und deren Beschwichtigung fällt der Wunsch des treuesten Sorgenherrn herein: „Friede sei mit Dir!“ Er hat die größte Sorge um Dich und Deinen bleibenden

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Hermann von Bezzel: Festpredigt über 3. Joh. 15. Siegfried Perschmann, Würzburg 1911, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Festpredigt_%C3%BCber_3._Joh._15.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)