Seite:Hermann von Bezzel - Festpredigt und Rede gehalten bei der Einweihung des Maria-Martha-Stifts mit Altersheim.pdf/5

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Tatkraft seiner Welt verleiht. Wenn aber die eine oder andere Seele in dieser Stunde sagen, wenn insonderheit unsere Jugend, auch die stadtfremde, einwenden wollte, es sei ihr von all dem wenig oder gar nichts bekannt, weil die Geschichte auch der Kirche vorüberzieht, wie die der Welt und niemand achtet ihrer, so ruft ihr jede erfahrene Seele zu: Hast Du nicht gehört, wie es am Eingang des heutigen Textes heißt: „Geliebte Brüder.“ Das Wort ist entwertet, die Kirche sucht wieder der klaren, unentstellten Münze Glanz und Gabe, denn das Wort ist vertraut und von Herzen gesprochen. Erweckt wieder, meine Teuren, die ganze Größe und Fülle dieses Wortes. Nicht bin ich meinem Gott fremd, sondern sein Licht hat mein Leben erworben[.] Nicht stehe ich fern von ihm, sein Licht hat meinem Leben sich geweiht. Er hat uns erzeugt, niemand konnte ihn zwingen, er hat uns wiedergeboren, niemand kann ihn nöten, aus freier Gnade durch sein Wort, auf daß wir wären Geliebte in Christo. Freust du dich an dieser Großtat deines Gottes, der dich durch Jesum aus der Sünde erkauft hat, frohlockst Du darüber, daß Dein Name im Himmel angeschrieben ist? Gott schenke es Dir und mir, daß wenn es in uns finster und Nacht werden will, wir dieses einzige große Licht fest ins Herz prägen und ins Leben nehmen: Ich bin erlöst, erkauft. Ich bin dem Vater des Lichtes teuer und wert.

 Dieser Vater der Lichter, Gemeinde des Herrn, hat in seinem ganzen Wesen einen Zug, den ihr im Wechsel der Tage, im Wandel der Tagesmeinungen nicht hoch genug schätzen könnt. Er ist sich selbst treu, bleiben wir nicht treu, so bleibt doch er treu, er kann sich selbst nicht leugnen. Bei ihm ist kein Wechsel. Hunderte von Jahren haben ihn den Vater der Lichter geheißen. Welcher Zeit war es gestattet, bei ihm einen Wandel seines Wesens zu finden? In der Stunde, in der er sein Wesen wandelt, hört er auf, der ewige Gott zu sein, löst sich in Begriffe, Begriffe in Schatten und dann Schatten in Träume auf. Bei ihm ist keine Veränderung des Lichtes noch der Finsternis, keine Ueberschattung und Trübung, spricht Jakobus, der Apostel. Welten gehen vorüber, Jahrhunderte streichen vorbei, Menschenleben sinken dahin. Wie unsere Väter zu ihm flehten, zu dem Vater der Lichter, so heben wir unsere Hände auf zu ihm, dem rechten Vater über alles, was Kinder heißt im Himmel und auf Erden und schauen ängstlich in sein gnadenreiches durch Jesum Christum entwölktes Gesicht. „Hast du einen anderen Zug jetzt in dir? Bist du durch die Forschungen der Neuzeit geändert worden?“ Ja, sie haben in dein heiliges Bild fremde Züge eingegraben und in deine ewige Treue ihre Anschauungen hineingeprägt. Aber diese Zeichnungen verwittern, ehe der Griffel der zeichnenden Hand entsinkt, und diese Bilder vergehn, ehe ihre Bildner zu Grabe steigen, und unverändert und ewig treu leuchtet das Angesicht des Erbarmers. Bei ihm ist keine Abschattung, die durch den Wechsel geschehen, als ob Jahrhunderte durch ihre Last und Schuld bei ihm gleichsam Schatten niederlegten und niederließen. Jahrhunderte mit ihrer Sünde sind getragen, Jahrtausende mit ihrer Schuld sind vergeben, die Lebensformen in Erbarmen beschlossen und in sein heiligstes Wesen ist kein Schatten hineingetreten. St. Jakobus möchte es uns recht deutlich sagen: Nicht eine Wendung von Schatten, nicht ein Schatten von Wendung. Wenn ein einzelner Schatten auf ihm läge, so würde er dir vielleicht gelten und wenn ein einzelner Zug des Erbarmens im Laufe der Jahrhunderte sich geändert hätte, würde er dir vielleicht nicht antworten und du wärest in ständiger Angst: Ich lebe unter dem Schatten seines Angesichtes, mir droht die Veränderung seines Wesens.

 II. Darum, Gemeinde des Herrn, freue dich in deinem Gott, denn bei ihm ist keine Veränderung. Vater und Mutter verlassen dich, Weltanschauungen flüchten an dir vorüber, je länger je schneller; aber, den unsere längst heimgegangenen Väter anriefen, auf den sie hofften, ohne zu Schanden zu werden, das ist der alte treue Gott und doch nicht veraltet. Denn, so fährt unser Text weiter, von diesem tiefgründigen und unerschöpflichen Quell des Lichtes steigt jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk herab. Als eine gute Gabe preise ich in diesen Stunden die evangelische Gemeinde Lindau; was sie unserer Kirche an Handreichung und Treue geleistet hat, wie sie mit ihren Geistlichen innig sich zusammenschloß, Treue um Treue vergeltend, sei ihr gedankt. Als eine gute Gabe begrüße ich, ein