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Spittel des Herzens sammelt, um ihrer sich zu erbarmen’, ist im letztvergangenen Jahrhundert der Beweis für die geheimen Lebenskräfte des Christentums, näher des evangelischen Christentums geworden, als aufgeklärte Lehrer und veräußerlichte Kirchenmänner dem alten Bekenntnisse das Grab bereiteten und ein nach Roms Herrlichkeit halb bewunderungsvollshalb sehnsüchtig hinblickender Ästhetizismus das Grab bekränzte. Der Kälte des Rationalismus, die, um gegen Rothe zu reden, nicht bloß eine schlechte Theologie, sondern auch eine üble Religion ist, und der dumpfen ungesunden Schwüle der Restaurationszeit folgte der frohe Frühling des Liebeslebens, wie es Freiherr von Stein, Graf Recke, Pfarrer Klönne und Amalie Sieveking, vorab Fliedner und Wichern heraufführten. Man besann sich auf vergrabene Schätze, als man so viel Gold und Edelsteine aus dem Malschatz, mit dem ihr Herr seine evangelische Kirche begabt hat, erblickte, und freute sich, daß die verhaltenen und gebundenen Gaben los und ledig wurden.

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 Der Apostel schreibt einmal dem Timotheus, er solle (II 1, 6) die ihm verliehenen Gaben erwecken, halberstorbene, niederbrennende Kohlen anfachen, daß ihre feurige Glut auflohe, eine Flamme des Herrn. Dieser Schein und Freudenglanz der dienenden, suchenden, sorgenden und pflegenden Liebe war die Verteidigung der Kirche und der Erweis, daß ihr Herr mit Geist und Gaben noch bei ihr weile. Als vor siebzig Jahren alle Geister der Verneinung wild aufjauchzten, um Bande und Seile zu zerreißen und wegzuwerfen, welche die Fremde an die Heimat und die Seele an ihren Herrn binden, haben sie ein Band nicht nur nicht zerreißen können, sondern fester knüpfen und enger anziehen müssen. Die Liebe Christi hat 1848 ihren Freibrief entfaltet, als Wichern auf Geheiß seines Herrn zu Wittenberg nicht Thesen an die Schloßkirche zum Erweis des Glaubens, sondern ewige, heilige, selige Sätze der königlichen Liebe an die Tore der evangelischen Kirche anschlug: „In der Liebe fäht der Christ unter sich und ist jedermann untertan.“ Dem dämonischen Grollen des Abgrunds: „Jeder sich selbst der Nächste, Ich bin ich selbst allein“ der Lebensverneinung aus Lebensbehauptung antwortete ein vielstimmiger Chor: Laßt uns lieben, denn Er hat uns erst geliebt. Und mit Luthers Worten schallte es durchs Land: „Das Gebot der Liebe ist ein kurzes Gebot und ein langes Gebot, wenig Gebot und doch viel Gebot, kein Gebot und doch alle Gebote.“ Dem Pantheismus,

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Grund, Kraft und Ziel der Inneren Mission. Buchhandlung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Neuendettelsau ca. 1914, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Grund,_Kraft_und_Ziel_der_Inneren_Mission.pdf/13&oldid=- (Version vom 24.10.2016)