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gehört: Nimm und lies, nimm und lies. „Und in dieser Stunde,“ schreibt er, „kam mir ein alter Traum meiner Mutter, die sonst nicht immer auf Träume achtete, zu Sinn. Sie sah einmal mich am Ende eines Grabens stehen und am andern Ende stand sie, und da fragte sie einen Unbekannten: Wo aber steht mein Sohn? und der Unbekannte antwortete: Dein Sohn steht, wo du stehst. Lange, sagte Augustin, habe ich diesen Traum der Mutter verlacht und habe sie zu mir ziehen wollen und ihr beigeredet, es heiße: „Du stehst, o Monika, wo dein Sohn steht.“ Aber sie hat sich den Traum eifrig eingeprägt: „Dein Sohn steht, wo du stehst.“ – „Nimm und lies“, – und ich schaue auf, ich sehe niemand, kein Spiel der Knaben am Gartenzaun, kein Kind, das vielleicht in meine einsame Meditation hineingerufen hatte nach kindlicher Weise, aber ich nehme das Bibelbuch und schlage auf“ und erfand Römer am 13. jene große Epistel, mit der jedes neue Kirchenjahr wie in der Morgenröte eines neuen Tags anhebt. „Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet an den Herrn Jesum Christ!“ Und sein Freund schlägt weiter nach: „Die Schwachen im Glauben nehmet auf, und verwirret die Gewissen nicht.“ Augustin, daß ich so sage, kam durch die Heiligung zur Rechtfertigung. Als ihm dieses Wort ganz klar war, daß man brechen müsse mit allem, und daß ein neuer Morgen nur der Seele graue, die mit dem sinkenden Abend ganz abgeschlossen habe, da legt er seine Rhetorwürde und all seine Auszeichnungen, seine Studien, seine Gelehrsamkeit hin und aus dem Welt frohen wird der Weltfeind. Das sind diese südlichen Naturen, diese extremen Charaktere der Kirchengeschichte,

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Luther und Augustin. Verlag der Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1912, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Luther_und_Augustin.pdf/12&oldid=- (Version vom 9.10.2016)