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Bei des höchsten Leidens Bild.
Aber Ostern scheint die Sonne
Heiter, als ob nichts geschehn,
Also muß zur Himmelswonne
Alles Erdweh auferstehn.

 Die Passion heißt Angst. Aber der Sonntag spricht: Er hat die Welt überwunden. Ueberwunden in dreifachem Sieg der Wahrheit über die Lüge, des Lebens über den Tod, der Gnade über die Sünde. Wir tragen schwer an dem Scheine, mit dem wir uns umgeben, den wir lieben, obgleich er zum Tode bringt, und suchen, obgleich wir in ihm verloren gehen. Wir leben in einer Welt des Scheines, der entwerteten Worte und der abgegriffenen Sitten, da man sich selbst Grenze und Ziel bestimmt weiß, wie weit Glaube und Vertrauen geht. Scheingüter bieten sich dar und wandeln sich in Asche, Truggold wird aufgewogen und verkehrt sich in Sand. Wo viele Worte sind, da ist viel Sünde, und wo viel Täuschung ist, da ist viel Gram. Die Lüge braucht nicht, wie etliche meinen, ein Moment von Wahrheit, um leben zu können, sie lebt aus eigener Kraft und stirbt nie anders als um neu zu leben. Umgeben von Lügen ohne Zahl, die unseres Volkes Ehre und die Treue seiner Führer in den Kot ziehen, von Verleumdung und blöder Täuscherei spüren wir, was der Verderber der Wahrheit große Gewalt hat. Er hat sie aufs höchste an dem Fürsten der Wahrheit geübt, dessen Allmacht er Ohnmacht, dessen Weisheit er Torheit hieß, dessen Bild er verspottete, verzeichnete, verlästerte, dessen Wort er mit tausend Fragezeichen dem Mißtrauen preisgab. Die Pilatusfrage des Agnostizismus, ob es Wahrheit gebe und was sie sei, hat Jesus gelöst, indem er, mit Lüge und Trug überhäuft, der Mann blieb, der Vollkommene, der in keinem Worte fehlte. Ich bin die Wahrheit in Wesen und Erscheinung und die Wahrheit siegt. Langsam vielleicht, kaum merkbar, mühereich und wie in stiller Verborgenheit. Aber die Einfachheit des seiner selbst gewissen Worts, das Ja und Nein in seiner schlichten Größe, die festbestimmte Geschlossenheit innerlicher Selbstbehauptung wird endlich gewinnen und den Sieg behalten. Wenn niemand mehr der Lüge glaubt, wird sie zwar nicht ersterben, aber sich zur Qual fortsiechen. Todeskräfte gehen über Land nicht des großen Sterbens allein, das rings um uns wütet und edelste Beute entführt, sondern des inneren Verwelkens und Vergehens, weil die Sünde gepflegt und die

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Passionsgedanken. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1916, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Passionsgedanken.pdf/10&oldid=- (Version vom 10.11.2016)